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Kneer-Südfenster lud die Tagungsteilnehmer zur Produktionsbesichtigung © Daniel Mund

Wer Visionen hat …

Ein Artikel von Dinah Urban (für Timber-Online bearbeitet) | 07.03.2016 - 08:14
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Kneer-Südfenster lud die Tagungsteilnehmer zur Produktionsbesichtigung © Daniel Mund

Menschen mit Visionen wird nicht selten ein Arztbesuch empfohlen. Produktiver ist es aber wohl, wenn man seine Ideen mit Experten diskutiert oder – noch besser – in die Tat umsetzt. Das dachten sich auch die 180 Teilnehmer der Fachtagung Holz-/Holz-Metallfenster, die sich von 28. bis 29. Oktober in Rothenburg ob der Tauber/DE einfanden. Unter dem Motto „Visionen für Holzfenster? Ja, bitte!“ setzten sie sich ebenso mit visionären wie direkt nutzbaren Entwicklungen auseinander. Gemeinsam mit modernen Technologien für Lüftung, Sicherheit und Komfort können ökologisch wertvolle Holz- und Holz-Metallfenster im Gesamtpaket überzeugen. Die Fachtagung wurde von Kneer-Südfenster, Schnelldorf/DE (s. Link 1), unterstützt und erstmals als Kooperationsveranstaltung mit dem Bundesverband Pro Holzfenster und dem Verband Fenster und Fassade durchgeführt.

Moderne Fensterwünsche

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Visionen für Holz- und Holz-Metallfenster lockten 180 Teilnehmer nach Rothenburg © ift

Bis ins Jahr 2030 blickten die Tagungsteilnehmer. Die Referenten entführten sie in ihr künftiges Plusenergiehaus: „Intelligente Fenster, Verschattungs- und Lüftungselemente erfüllen nahezu ohne zusätzlichen Energieeinsatz das Grundbedürfnis nach einem gesunden, angenehmen Wohnklima, nach Sicherheit und Komfort. Die barrierefreie Ausführung von Türen und Fenstern trägt zu einem guten Wohngefühl bei und die Haustechnik verrichtet ihre Arbeit unauffällig und effizient“, zeichnete man ein Bild der Zukunft. Der Verbraucher von morgen bleibt jedoch ein Mensch, der selbstbestimmt sein will. Daher sei es ihm ebenso wichtig, den Stecker ziehen und Fenster manuell öffnen zu können. In puncto Sicherheit steht neben Hab und Gut auch die Privatsphäre auf dem Spiel. Neben der Einbruchverhinderung kommt auf Fenster daher eine zusätzliche Aufgabe zu: die Abschirmung von elektromagnetischen Wellen zur Unterbindung von Abhörversuche. Der Bequemlichkeit wird natürlich auch Rechnung getragen: minimaler Wartungsaufwand dank moderner Nanotechnik. Ob all das eintreten wird, muss sich erst zeigen, aber die Anwesenden sahen die eine oder andere Idee in vielleicht gar nicht mehr allzu weiter Ferne. Die effiziente Energienutzung hat schließlich bereits in tägliche Fragestellungen Einzug gehalten.

Das Fenster als Heizung

In der neuen Welt der konsequent erneuerbaren Energie und der dezentralen Stromnutzung und -speicherung bilden die transparenten Fenster- und Glasflächen das Rückgrat der thermischen Energieversorgung. Neue Glaskonstruktionen aus Vakuumglas und beschichteten Gläsern werden U-Werte von 0,2 W/(m²K) bei gleichzeitig hohen g-Werten erreichen. Ein Forschungsprojekt zur Entwicklung von druckentspanntem Mehrscheiben-Isolierglas eröffnet Möglichkeiten zur besseren Integration von Sonnenschutz und Lichtlenkungssystemen. Die Verbesserung von Wärmedämmung und Schallschutz bei gleichzeitiger Gewichtsreduzierung sei ebenfalls denkbar.
Bei Büro- und Verwaltungsgebäuden bilden Reinigung, Klimatisierung und Kunstlicht den größten Kostenblock. Die Kostenreduzierung durch neue Technologien wird die Entwicklung antreiben und diesen Posten minimieren. Hinzu kommt: Die Zufriedenheit der Mitarbeiter und die Krankheitsrate werden auch vom Raumklima beeinflusst. Die heutigen Steuerungen können noch keine zufriedenstellenden Lösungen bieten und erfahren oft keine Akzeptanz. Zukünftige Systeme sollen adaptiv reagieren und in Verbindung mit einer individuellen Regelung per Sprachbefehl die Akzeptanz und damit auch die Energieeinsparung verbessern.

Lüften, auch bei Gewitteransage

Die Energieeffizienz ist zwar für ein nachhaltiges Wirtschaften absolut notwendig, aber persönliche Kaufentscheidungen werden auch von Emotionen beeinflusst. Für Gebäude heißt dies: mehr Sicherheit, Komfort und Gesundheit bieten. Sicherheit bei Fenstern gehört zum Standard und wird durch geeignete Beschläge und Verglasungen erreicht. In naher Zukunft werden automatische Schließsysteme und eine Haus-Zentralverriegelung mit Sensoren in Fenstern, Türen und Glas Standard sein, die bei Beschädigung oder Einbruch unverzüglich eine Nachricht an das Smartphone und Polizei senden. Sensorik und Elektrik werden auch die Gesundheit fördern, indem eine ausreichende Lüftung dezentral und natürlich über Fenster sichergestellt wird, die sich bei Bedarf selbstständig öffnen und schließen, wenn die Sollwerte für Luftfeuchte und -zusammensetzung erreicht sind. Im Sommer können die automatischen Fenster zur natürlichen Nachtkühlung genutzt werden, ohne dass man bei einem Gewitter aufstehen muss, da der Regensensor im Fenster eine automatische Schließung veranlasst. Auch der Komfort durch automatische Fenster und Türen wird dann selbstverständlich sein, insbesondere für Personen mit körperlichen Einschränkungen. Die Bedienung erfolgt unkompliziert und intuitiv per Smartphone und erfüllt so das menschliche Bedürfnis, das eigene Wohnumfeld zu beeinflussen.
Der Komfort und das visuelle Wohlbefinden werden durch innovative Gläser verbessert. Zukünftige Glasflächen können selbsttätig durch elektrochrome Beschichtungen abgedunkelt oder gleich als Medienflächen genutzt werden, die wie ein LED-Bildschirm funktionieren. Medienfassaden, die heute noch aus einzeln ansteuerbaren LED-Streifen bestehen, werden bald schon durch flexible organische LED-Folien ersetzt, die sich leicht auf beliebige Formen und Materialien aufbringen lassen. Möglich machen dies organische LED-Zellen, für die schon kostengünstige Druckverfahren entwickelt werden.

Know-how aus der Automobilindustrie

Die Möglichkeiten des Internets und mobiler Endgeräte sind noch lang nicht erschöpft. Zulieferer aus der diesbezüglich sehr fortschrittlichen Automobilindustrie bieten seit kurzer Zeit auch elektromechanische Komponenten für den Fenster- und Beschlagbereich an. Mit ihrer Kompetenz bringen sie Dynamik in den Baubereich. In wenigen Jahren werden bei gehobener Gebäudeausstattung deshalb elektrisch betriebene Fenster und Türen mit intelligenter Sensortechnik Standard sein. Die enorme Leistungsfähigkeit zukünftiger elektronischer Steuerungssysteme basiert auf den Prinzipien des „Data-Mining“. Umfangreiche Daten von Benutzern werden dazu gesammelt und mittels Algorithmen hinsichtlich möglicher Muster ausgewertet. Dabei werden Methoden verschiedener Fachgebiete, wie maschinelles Lernen, künstliche Intelligenz und Statistik, genutzt. So sorgen selbst lernende Steuerungsmechanismen für angenehme Temperatur, Lichtverhältnisse und frische Luft und verriegeln automatisch alle Fenster, sobald die Haustür abgeschlossen wird.

Antibakterielle Türgriffe

Die Materialwissenschaften erleben zurzeit eine Blüte durch neue Herstell-, Fertigungs- und Analyseverfahren, die Nanotechnologie sowie die gezielte Beeinflussung der Oberflächeneigenschaften. Innentüren und Türgriffe, bei denen Silber- oder Kupferionen durch innovative Beschichtungsverfahren in die Oberflächenstruktur eingebunden werden und antibakteriell wirken, sind bereits erhältlich. Die Zukunft gilt den funktionalen Oberflächen, die je nach Einsatzzweck gestaltbar sind. Bei Fenstern und Fassaden wird dies eine Vereinfachung bei Wartung und Reinigung bringen, sodass Fensterputzen und Beschläge ölen der Vergangenheit angehören. Die Verbesserung der bauphysikalischen Eigenschaften können funktionalisierte Oberflächen ebenfalls erreichen, beispielsweise durch die Aufnahme von Luftfeuchtigkeit oder die Bindung von Schadstoffen.
In einem Projekt der Forschungsinitiative Zukunft Bau wurden die Grundlagen zur Nutzung von thermischen Verfahren zur Verbesserung der holztechnischen Eigenschaften sowie die konstruktive Basis für Verbundkonstruktionen gelegt. Damit lassen sich die Eigenschaften von Holzfensterprofilen hinsichtlich der Festigkeit, Wärmedämmung und Witterungsbeständigkeit verbessern. Die Verwendung dekorativer Holzarten, wie Kirschbaum, wird gleichsam erleichtert, was den Trend nach individuellen Designfenstern aus Holz unterstützt.

Ressourcenverbrauch minimieren

Die fortschreitende Verknappung und Verteuerung von Rohstoffen werden für weiterverschärfte Anforderungen an Baumaterialien sorgen. Es wird nötig sein, den Ressourcenverbrauch über alle Nutzungsphasen zu minimieren, also für die Herstellung der Bauprodukte, das Baustadium, die Nutzung bis zum Rückbau. Eine ausführliche und einheitliche Deklaration der Einzelteile wird ebenso wichtig. Klimafreundliche Produkte, die möglichst wenig CO2 im Herstellungsprozess freisetzen oder, besser noch, langfristig binden, werden immer gefragter.
Als Forschungs-, Prüfungs- und Zertifizierungsstelle unterstützt das ift Rosenheim seit über 45 Jahren die Baubranche weltweit bei der Entwicklung und Einführung neuer Technologien und Produkte sowie mit Richtlinien, um die Gebrauchstauglichkeit und Erzeugnisse bewerten und sicherstellen zu können. Damit will das ift Rosenheim diesen Prozess beschleunigen und die Welt gesünder, nachhaltiger und sicherer machen. Gemeinsam mit Unternehmen, Architekten und Bauherren arbeitet das ift Rosenheim an der Realisierung dieses Szenarios Fenster 2030.

Sichtweise verändern

Christoph Rellstab von der Berner Fachhochschule holte die Tagungsteilnehmer in die Gegenwart zurück: „Der Marktanteil von Holz- und Holz-Alu-Fenstern beträgt in der Schweiz auf Basis der erteilten Baubewilligungen rund 50 % über alle Gebäudekategorien gesehen. Im europäischen Vergleich ist dieser Marktanteil hoch.“ Gründe dafür seien neben der Bautradition die Entwicklungen der vergangenen 25 Jahre. Eine Schadenswelle in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre wurde als Chance genutzt, um neue, im Vergleich kostengünstige und leistungsfähige Holz- und Holz-Alu-Fenstersysteme zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. In dieser Zeit wurden auch das Integralfenster sowie die geklebten Fenstersysteme entwickelt. Weitere Innovationstreiber waren der Konkurrenzdruck durch die Kunststofffenster sowie die sich stetig verschärfenden Energievorschriften. Der liberale und im europäischen Vergleich unbeschwerte Umgang mit Normen habe den für die Innovationen notwendigen Rahmen gebildet, gab Rellstab Anregungen aus Schweizer Sicht.
Zum Perspektivenwechsel rief auch Florian Stich vom ift Rosenheim auf. Man versetze sich einmal in den Kunden. Der ist ja durchaus gewillt, für ein besseres, gesünderes, ökologischeres und sozialverträglicheres Produkt mehr auszugeben. Die Aufgabe der Branche sei es, der Zielgruppe zu verdeutlichen, warum denn natürliche Materialien, wie Holz, besonders wertvoll sind.