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Das System passt sich automatisch saisonal bedingten, wechselnden Brennstoffverhältnissen an © Polytechnik

Rechnen statt schätzen

Ein Artikel von Günther Jauk (für Timber-Online bearbeitet) | 22.02.2017 - 17:22
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Polytechnik-Kunden wird eine modellbasierte Anlagenregelung als Hard- und Software-Erweiterung angeboten © Polytechnik

Polytechnik, Weissenbach, hat in den vergangenen Jahren in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Partnern (Bioenergy 2020+ GmbH, BIOS Bioenergiesysteme GmbH) ein solches Konzept für Biomasse-Feuerungsanlagen entwickelt und gezielt optimiert. Zusätzlich wurden Modelle für Warmwasser-, Dampf- und Thermalöl-Kessel erarbeitet und auf industriellen Realanlagen im Dauerbetrieb erprobt. Mittlerweile bietet Polytechnik seinen Kunden eine modellbasierte Anlagenregelung als Hard- und Software-Erweiterung an.
Herkömmliche Prozessregler von Biomasseanlagen verwenden einschleifige Regelkreise zur Einstellung von Feuerraumtemperatur, Restsauerstoffgehalt und Leistung (Vorlauftemperatur des Heizmediums beziehungsweise Dampfdruck). Kopplungen der einzelnen Regelgrößen untereinander sowie die in der Mehrgrößen-Regelstrecke enthaltene Nichtlinearitäten bleiben dabei weitgehend unberücksichtigt.
Im Gegensatz dazu berücksichtigt ein physikalisches Modell der Regelstrecke Verkopplungen der Regelgrößen, Nichtlinearitäten sowie Abhängigkeiten von messbaren Störgrößen. „Die Kenntnis dieses Modells ist entscheidend und ermöglicht den Entwurf einer Vorsteuerung mithilfe des Konzepts der exakten Eingangs-Ausgangs-Linearisierung“, informiert Dr. Otto Heinreichsberger von der Polytechnik-Entwicklungsabteilung. Das verkoppelte und nichtlineare System von Eingangs- und Ausgangsgrößen wird dadurch in eines aus entkoppelten und linearen Regelkreisen übergeführt. Diese Regelkreise können dann mit klassischen regelungstechnischen Entwurfskriterien ausgelegt werden.

Modellbasierte Massenstromregler

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Gegenüberstellung der Sauerstoffwerte bei modellbasierter und herkömmlicher Regelung © Polytechnik

Die modellbasierte Regelung von Polytechnik verwendet als Regelgrößen die Vorlauftemperatur (oder den Dampfdruck), den Sauerstoffgehalt im Rauchgas, die Feuerraumtemperatur, das Luftverhältnis in der Primärverbrennungszone (PVZ) und bei Dampf-kesselanlagen zusätzlich den Füllstand im Kessel.
Stellgrößen sind die Massenströme von Primär- und Sekundärluft, rezirkuliertem Rauchgas und Brennstoff, bei Dampfkesselanlagen zusätzlich der Speisewassermassenstrom. „Diesen Stellgrößen sind modellbasierte Massenstromregler unterlagert, welche die geeigneten Ventilatorfrequenzen, Klappen- und Ventilstellungen sowie Brennstoff-Einschub- bzw. Brennstoff-Dosierfrequenzen berechnen“, erklärt Heinreichsberger.
Wesentliche mess- oder schätzbare Störgrößen sind Luft- und Rauchgasenthalpie, der Brennstoff-Wassergehalt, der Massenstrom des zu- und abgeführten Mediums sowie der Falschluft-Massenstrom. Neben der bereits erwähnten Entkopplung und Linearisierung der Regelgrößen eignet sich das Konzept zur Trajektorienfolgeregelung, was bei Lastwechselvorgängen eingesetzt wird.

Erhöhte Betriebssicherheit – nur einer von vielen Vorteilen

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Das System passt sich automatisch saisonal bedingten, wechselnden Brennstoffverhältnissen an © Polytechnik

Für den Anlagenbetreiber ergeben sich aus der modellbasierten Regelung mehrere Vorteile. So passt sich das System beispielsweise automatisch saisonal bedingten, wechselnden Brennstoffverhältnissen an. Es müssen keine Änderungen an den Brennstoff-Zufuhrparametern, den Primärluftventilator-Frequenzen oder den Parametern des Brennstoff-Vorschubs bei geänderten Brennstoffverhältnissen vorgenommen werden. „Das vereinfacht die Anlagenbedienung und erhöht die Betriebssicherheit“, informiert Heinreichsberger. Dabei kann der Brennstoffwassergehalt entweder gemessen oder als zeitlich variierender Modellparameter geschätzt werden.
Die Brennstoffmenge auf den Vorschub-Rosten ist eine Zustandsgröße im Brennstoffbett-Modell. Dieser Parameter wird einerseits beobachtet und andererseits durch Vorgabe eines definierten Luftverhältnisses in der PVZ geregelt. Eine Brennstoffmengen-Regulierung durch Lichtschranken in der Feuerung kann daher entfallen. „Dies erhöht die Robustheit der Anlage und verbessert das Regelverhalten merklich. Darüber hinaus ist ein geregeltes Luftverhältnis in der PVZ ein Garant für stabile Emissionswerte. Die Brennstoffeinsparung beträgt laut Polytechnik bis zu 5 %.
Das Konzept der Messung oder Schätzung der Istwerte der Massenströme in der Anlage sowie die modellbasierte Regelung der Soll-Massenströme verschaffen dem Anlagenfahrer einen klaren Blick auf die physikalischen Vorgänge in der Anlage. Abweichungen lassen sich damit schnell lokalisieren und beheben. Durch ein Monitoring der Massenströme kann auch gesichert werden, dass die Anlage in ihren zulässigen Grenzen betrieben wird.
Zudem wird die Feuerraumtemperatur auch in der Schwachlast gezielt auf einen Sollwert geregelt und nicht nur auf diesen begrenzt. „Dies schafft eine wertvolle Leistungsreserve und trägt damit zum insgesamt guten Emissionsverhalten der Regelung bei“, informiert Heinreichsberger.
Die Regelung des Restsauerstoffgehalts im Rauchgas erreicht aufgrund der Berücksichtigung messbarer Störgrößen sowie der Entkopplung der Regelgrößen einen bedeutend geringeren Regelfehler als bei einer einschleifigen Sauerstoff-Regelung. Dieser den Brennstoffverbrauch senkende Effekt erhöht den Wirkungsgrad der Anlage.
Verglichen mit einer konventionellen Regelung, erfordert eine modellbasierte Regelung zusätzliche Sensoren zur Messung der Massenströme der Stell- und Störgrößen. Design und Realisierung dieser Sensorik sowie die Bestimmung der notwendigen Modellparameter zur Berechnung dieser Massenströme sind entscheidend für einen erfolgreichen Einsatz und Robustheit im Langzeitbetrieb einer modellbasierten Anlagenregelung.
In der praktischen Realisierung funktioniert die modellbasierte Polytechnik-Regelung alternativ zur konventionellen PID-Regelung, das heißt, das Steuerungssystem schaltet automatisch und stoßfrei zwischen den beiden Regelungsvarianten um.