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Interessiertes Publikum der Fachtagung Bioökonomie in Graz © Holley

Patentrezept Bioökonomie?

Ein Artikel von Dagmar Holley | 27.10.2016 - 09:20
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Interessiertes Publikum der Fachtagung Bioökonomie in Graz © Holley

Der Holzcluster Steiermark lud in Kooperation mit der Landwirtschaftskammer Steiermark und Bioeconomy Austria zur Fachtagung Bioökonomie am 6. Oktober im Messecongress Graz. Auf der gut besuchten Veranstaltung sprachen Experten aus Wissenschaft und Politik über Entwicklungen und Probleme, zeigten Erfolge auf und hinterfragten Rahmenbedingungen.
Als der Begriff Bioökonomie vor zehn Jahren aufkam, ging man von einem stetigen Wachstum des Erdölpreises aus. Nach und nach wollte man dieses durch alternative Rohstoffe ersetzen. Inzwischen stehen Umwelt- und Klimaverträglichkeit im Vordergrund: neue Produkte und Technologien zu entwickeln, um Biomasse vielseitig zu nutzen – am besten kaskadisch: zuerst stofflich und erst am Ende eines Kreislaufes energetisch.

Unbegrenzt verfügbare Rohstoffe?

Wie viel Biomasse steht tatsächlich zur Verfügung? Stefan Zwettler, Leiter der Forstabteilung der Landwirtschaftskammer Steiermark, präsentierte die Daten für sein Bundesland. Die Zuwachsraten liegen immer noch über der genutzten Menge. Mit mehr Durchforstung, Verjüngung, Räumung und Entrümpelung im Kleinwald könnten weitere Potenziale verfügbar werden. Neben Holz können Mais, Weizen, Zucker oder Koppelprodukte, wie Holzabfälle, Obstkerne, Stroh, als Biomasse genutzt werden. In Bioraffinerien werden diese zu Produkten verarbeitet.
Um Nutzungskonkurrenzen vorzubeugen, gibt es eine klare Hierarchie: Nahrungsmittel vor Futtermitteln und Fasern, Energie an letzter Stelle. Wertvolle Rohstoffe werden aber bislang nur zum Teil genutzt. Holz besteht aus Zellulose, Hemizellulosen, Lignin und Extraktstoffen. Zur Erzeugung von Papier und Textilfaserstoffen wird Zellulose eingesetzt, an Anwendungen der anderen Bestandteile wird eifrig geforscht. Schon jetzt werden aus den Reststoffen der Papierindustrie unter anderem Tallöl und Terpentin für die chemische Industrie hergestellt.

Zwischen Markt und Technologie

Österreich investiert viel in Wissenschaft und Technik. Markt und Nachfrage würden manchmal zu wenig berücksichtigt, meinte Dr. Tobias Stern, Universität Graz: „Wir haben die Lösungen und suchen nun die passenden Probleme dafür.“
Das Wiener Unternehmen Acticell hat das Problem zu seiner Lösung bereits gefunden. In einem patentierten Prozess werden Jeans mit Enzymen umweltfreundlich gebleicht. Giftige Schwermetalle und gesundheitsschädliches Sandstrahlen könnten damit bald der Vergangenheit angehören.

Wir haben die Lösungen und suchen nun die passenden Probleme dafür.


Dr. Tobias Stern, Universität Graz

Cluster und Netze

Wesentlich für den Erfolg ist neben der Entwicklung neuer Technologien die Vernetzung aller Beteiligten. Neben Forschungsgeldern, die in konkrete Projekte fließen, wird auch die Bildung von Clustern forciert. Dr. Matthias Zscheile, Präsident des Bioeconomy-Clusters Mitteldeutschland, gibt Einblick in die Situation unseres Nachbarlandes.
Im Chemiedreieck Halle – Leipzig – Bitterfeld entsteht ein Zentrum für holzbasierte Bioökonomie. Aus Buche sollen Produkte für die Automobil-, Bau- und Verpackungsindustrie entwickelt werden. Über den chemischen Holzaufschluss werden Grund- und Feinchemikalien gewonnen, die als Basis für Verbundwerkstoffe und Biopolymere dienen. Die Kernbranchen des Clusters sind Holz-, Chemie- und Kunststoffindustrie. Mehr als hundert Projektpartner sind beteiligt.
Durch die Zusammenarbeit mit der erdölbasierten Chemieindustrie werden die Unterschiede zur Bioökonomie deutlich. „Gegensätzliche Denkweisen, die sich über Jahre hinweg eingeprägt haben, müssen in Einklang gebracht werden. Die Großchemie kauft anders ein als die Holzindustrie. Neue Modelle für Einkauf, Ressourcenbereitstellung und den Umgang mit Kalamitäten müssen erarbeitet werden. Beide Welten zusammenzubringen, wird ein langer, schwieriger Prozess“, so Zscheile. Nicht alles, was im Labormaßstab funktioniere, könne beliebig vergrößert werden. Die Bereitstellung von Biomasse, aber auch ihre Verarbeitung werden dezentral bleiben.

Langfristig denken

Es geht also weniger um die Frage, ob man die Bioökonomie vorantreiben will, sondern vielmehr darum, wie dies geschehen soll. In einigen Ländern wurden bereits Bioökonomie-Strategien herausgegeben, Österreich soll folgen. Gesetzliche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, die Gesellschaft müsse miteinbezogen werden. Anforderungen, wie Biodiversität, dürfen nicht aus den Augen verloren werden.
„Wir müssen die Ängste der Bevölkerung berücksichtigen“, mahnt Univ.-Prof. Dr. Hubert Dürrstein, Universität für Bodenkultur Wien. Zudem dürfe man nicht den Fehler machen, schnelle Erfolge zu erwarten: „Bioökonomie ist ein Prozess, der nun langsam beginnt und fortgesetzt werden muss. Statt dogmatisch zu sein, müssen wir gemeinsam einen sinnvollen Weg suchen.“

Bioökonomie ist ein Prozess, der nun langsam beginnt und fortgesetzt werden muss. Statt domatisch zu sein, müssen wir gemeinsam einen sinnvollen Weg suchen.


Univ.-Prof. Dr. Hubert Dürrstein, Universität für Bodenkultur Wien