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Außen präsentiert das Chalet tragendne Teile aus Retrotimber sowie Schalung aus Altholz © Retrotimber

Neues „Altholz“

Ein Artikel von Günther Jauk | 21.08.2014 - 08:40
Alfred Hanger, Geschäftsführer und zuständig für die Produktion von Retrotimber, Zirl, wurde sein Holzwissen quasi in die Wiege gelegt: Er wuchs in den Laubholzsägewerken seiner Familie in Ybbsitz und Kleinraming (Ostösterreich) auf. Beruflich war Hanger 20 Jahre lang in der Industrie, zuletzt als Betriebsleiter des BSH-Werks Binderholz in Jenbach, tätig.
Dass Hanger das eigentliche Produkt – wenn überhaupt – nur noch in Plastikfolie verpackt zu Gesicht bekam, begann ihn zunehmend zu stören. Er fing an zu überlegen, wie er sich mit seiner Erfahrung und seinem Wissen dem Werkstoff Holz weiter nähern könnte.

Dämpfkapazität richtig ausnutzen

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Außen präsentiert das Chalet tragendne Teile aus Retrotimber sowie Schalung aus Altholz © Retrotimber

Da die Nachfrage nach gedämpfter Buche in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen ist, wusste Hanger über die freien Dämpfkapazitäten in den Werken seiner Familie Bescheid und wollte diese nutzen. Gemeinsam mit dem studierten Bauingenieur Stefan Fritz entwickelte er ein schonendes Dämpfverfahren (Retrodämpfen) für Fichte und Lärche, welches den Hölzern die typische Altholzoptik über den gesamten Querschnitt verleiht, ohne dabei die Festigkeitseigenschaften massiv zu beeinträchtigen. Fritz war nach seinem Studium am Institut für Holzbau und Holztechnologie der Technischen Universität Graz und zuletzt als Vertriebsleiter bei Binderholz Bausysteme tätig. Bei Retrotimber ist Fritz für Vertrieb und technische Beratung zuständig.

Statisch berechenbar

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BSH für konstruktiven Holzbau, Festigkeitsklasse GL20 © Retrotimber

Die statischen Eigenschaften von echtem Altholz hinsichtlich Festigkeit, Dichte und E-Modul lassen sich nur schwer feststellen. Wird hingegen frisches Holz herkömmlich gedämpft, weiß man über die Festigkeitseigenschaften Bescheid. Diese befinden sich um etwa ein Viertel unter denen von nicht gedämpftem Holz.
Eine von Retrotimber in Auftrag gegebene Untersuchung der Universität Innsbruck – es war die bisher größte Versuchsreihe zu Dämpfen und Statik im deutschsprachigen Raum – brachte zwei wichtige Erkenntnisse: Zum einen bringe der Retrodämpfvorgang kaum Festigkeitsverluste und zum anderen lasse sich Retrotimber in Festigkeitsklassen einteilen und somit statisch berechnen, erklärt Fritz.

Kalkulierbarer Verschnitt

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Bauholz für konstruktiven Holzbau, Festigkeitsklasse C20 © Retrotimber

„Man kann einen 9 m langen Balken nicht auf 11 m Länge verbauen“, scherzt Hanger und spricht damit die oft mangelnde Verfügbarkeit von Altholzsortimenten an. „Bezieht man herkömmliches Altholz, kann man Dimensionen und Längen nicht immer frei wählen und hat teilweise mit erheblichem Verschnitt oder gar nicht vorhandenen Dimensionen zu rechnen“, führt Hanger weiter aus. Retrotimber lässt sich beliebig und genau dimensionieren, was zudem den problemlosen Abbund mittels CNC-Bearbeitungsmaschinen gewährleistet.
Ein weiterer wichtiger Punkt für die reibungslose CNC-Bearbeitbarkeit ist das Fehlen von Fremdkörpern. Nägel oder andere Verunreinigungen können bei CNC-Bearbeitung von normalem Altholz immer wieder zu Problemen führen.

Gehobelt oder gehackt?

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Kantholz aus Lärche für den dekorativen Einsatz © Retrotimber

Hauptprodukte von Retrotimber sind Holz und Holzwerkstoffe für den tragenden Bereich. Angeboten werden Bauholz, Duo- und Triobalken sowie BSH in den handelsüblichen Dimensionen. Um als Komplettanbieter auftreten zu können, werden auch Profilhölzer, dekorative Kanthölzer sowie Tischlerware verkauft. Der Kunde kann sich zwischen gehobelten, sägerauen, gebürsteten und gehackten Oberflächen entscheiden. Bürsten und Hacken werden dabei von spezialisierten Partnern übernommen.
Aufgrund des zeitintensiven Retroverfahrens dauert es bei konstruktiven Bauteilen sieben bis acht Wochen von der Bestellaufgabe bis zur Lieferung. Da dies für Kunden eine zu lange Wartezeit bedeuten würde, hat Retrotimber ein großzügiges Lager angelegt. Dieses ermöglicht eine Lieferung der gängigen Querschnitte binnen drei Wochen. Für Sonderformate muss die längere Wartezeit in Kauf genommen werden.

Nur ausgewählte Partner

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Geschäftsführer Alfred Hanger (li.) und Stefan Fritz, technischer Berater von Retrotimber © Günther Jauk

Seinen Absatz findet das neue Altholz derzeit im Alpenraum. Da vor Retrotimber noch kein vergleichbares Produkt am Markt war, ist dem jungen Unternehmen eines besonders wichtig: Kundenservice mit intensiver technischer Beratung. Diese wird hauptsächlich von Fritz geleistet. Daneben setzt Retrotimber auf die Zusammenarbeit mit qualifizierten Partnern vor Ort. Zu Beginn der Partnerschaft werden alle Händler einer eingehenden Schulung unterzogen.
Gegründet wurde das Unternehmen im Herbst des vergangenen Jahres. Der offizielle Vertrieb startete im Januar. Eine seiner Stärken sieht das Unternehmen im Ausfüllen einer Marktnische und in der Verwendung bereits vorhandener technischer Anlagen. „Für große Industrieunternehmen ist die Nische zu klein und daher unrentabel. Kleinere Unternehmen müssten bei der Anschaffung von Dämpfeinrichtungen viel Geld in die Hand und somit ein großes finanzielles Risiko auf sich nehmen“, führt Hanger aus.
Dennoch wurden bereits Versuche unternommen, das Produkt zu kopieren. Allerdings mit mäßigem Erfolg, da die statische Berechenbarkeit nicht gegeben ist. Retrotimber ist sich seines Entwicklungsvorsprungs bewusst und setzt klar auf Weiterentwicklung. Zurzeit läuft ein groß angelegtes Forschungsprojekt abermals in Zusammenarbeit mit der Universität Innsbruck. Was genau erforscht wird, wollten Hanger und Fritz nicht preisgeben, nur dass es dabei wieder um ein gedämpftes Produkt gehe. In den kommenden Jahren beabsichtigt Retrotimber, einen fixen Teil des Umsatzes für Forschung und Entwicklung aufzuwenden, um auch in Zukunft seinen Vorsprung durch Forschung und Entwicklung beibehalten zu können.
Sein wichtigstes Ziel, dem Rohstoff Holz wieder ein Stück näherzurücken, hat Hanger erreicht. „Am besten werde ich in meiner Arbeit durch die vielen positiven Rückmeldungen zufriedener Kunden bestätigt. Das zeigt mir, dass wir mit unseren Produkten auf dem richtigen Weg sind“, so Hanger.