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Die Brettschichtholzkonstruktion des Hauptgebäudes überragt jene der Vorbehandlungshalle um 24m. © Mitchell Duncan / International Architectural Photography

Müll gehört zum Leben

Ein Artikel von Kathrin Lanz | 30.01.2017 - 09:21
In Europa gibt es derzeit an die 500 Müllverbrennungsanlagen. Nur die wenigsten sind von architektonisch ausgefeilten Gebäudehüllen umgeben. Unsichtbar, irgendwo in der Peripherie gelegen, finden die üblichen grauen Containerbauten meist wenig Aufmerksamkeit. Nicht so im Fall der englischen Stadt Leeds. Architekt Jean-Robert Mazaud vom Pariser Büro S’pace Architecture schuf hier ein Vorzeigebeispiel in Sachen Industriebau: eine Müllverbrennungsanlage, deren Holzbauarchitektur weder zurückhaltend, unauffällig, noch schmucklos ist. Als Sohn eines Sägewerksbesitzers ist Mazaud dem Baustoff grundlegend zugeneigt. Sein Büro ist auch bekannt dafür, gern in Holz zu bauen. Ganz im Sinne des Auftraggebers, des Umweltdienstleisters Veolia, der mit dem höchsten Brettschichtholzbau Großbritanniens ganz gewollt aufzeigt, dass Müll Teil unseres Lebens ist. Nur zu gut passt Brettschichtholz zum Konzept, das als Baustoff den Recyclinggedanken hochhält.

Drei Mal Brettschichtholzbau

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Die Brettschichtholzkonstruktion des Hauptgebäudes überragt jene der Vorbehandlungshalle um 24m. © Mitchell Duncan / International Architectural Photography

Aus drei Gebäuden besteht die Recycling- und Energieverwertungsanlage: der mechanischen Vorbehandlungshalle, der Energierückgewinnungsanlage und der Aschelagerhalle – allesamt Brettschichtholzkonstruktionen. Das Tragwerk der Vorbehandlungshalle besteht aus einer BSH-Fachwerkskonstruktion mit 20 Achsen und einer Spannweite von 36 m. Alle Fachwerksträger konnten im Werk von Hess Timber, einem Unternehmen der Hasslacher Norica Group, vormontiert werden. Deshalb war die Halle in nur 13 Tagen fertig. Durch eine Polycarbonatverkleidung gelangt viel Tageslicht ins Innere. Das zweite Nebengebäude, die Aschelagerhalle, besteht aus einer 12m hohen BSH-Kuppelkonstruktion mit Bogenbindern und Beplankung. Das Dach ist begrünt.

Hauptgebäude als Highlight

Von allen Bauten macht wohl die Energierückgewinnungshalle, das Hauptgebäude, am meisten Eindruck. Mit seinen 42 m, die ungefähr 14 Geschossen eines Wohnbaus entsprechen, ist der Bau höher als breit. Auf 124 m Länge verteilen sich 20 BSH-Rahmen, die 4680 m2 überdachen. Auf jeder Achse steht eine BSH-Rahmenkonstruktion, die aus 29 m langen Fachwerksbindern mit 400 mm hohen Gurten besteht. Auf der Betonkonstruktion fußend, sind die Fachwerkbinder nur 14 m lang. Auf diesen findet dann je ein dreiteiliger Bogenbinder Platz. Ostseitig sind die ersten sechs Felder des oberen Dachbereichs aufgrund der hohen Wärmeentwicklung der Turbinen komplett offen. Aus diesem Grund verkleiden Sperrholzplatten die Binder in diesem Bereich. Eine Besuchergalerie in schwindelnder Höhe und die „lebende“ Südwand, die europaweit die größte begrünte Wandfläche darstellt, gelten als einzigartige „Zusatzfeatures“. 

Straffer Zeitplan gegen 2916 Statik-Dokumentseiten

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Die Konstruktion der Vorbehandlungshalle basiert auf Zweigelenksrahmen und besteht aus 20 Achsen. © Rensteph Thompson

Rund 70 Lkw lieferten die nötigen Holz- und Stahlmengen nach England. Unterteilt in acht Bauabschnitte, dauerten die Montagearbeiten von April 2014 bis August 2015. „Der Zeitplan musste exakt eingehalten werden, da ansonsten Strafzahlungen gedroht hätten“, erzählt Rensteph Thompson, Projektleiter International von Hess Timber. Das Unternehmen übernahm die CAD-Planung, die Herstellung, den Transport, die Montage und nicht zuletzt die Statik. 2916 Statik-Dokumentseiten verdeutlichen die Tragweite des Projektes. Vor allem die Windlasten, die vorab im Windkanalversuch anhand eines Modells getestet wurden, stellten dabei Herausforderungen dar.

Hinter der gewaltigen Brettschichtholz-Rahmenkonstruktion verbirgt sich ein beachtlicher technischer Prozess. Riesige Turbinen erzeugen bei der Verbrennung Energie. Rund 11 MW Strom – das reicht für die elektrische Energieversorgung von etwa 22.000 Haushalten – produziert man in Leeds ganz nebenbei.

Holzbauanteil voranbringen

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Die "lebende" Südwand des 42m hohen Hauptgebäudes der Müllverbrennungsanlage ist die europaweit größte begrünte Wandfläche © Mitchell Duncan / International Architectural Photography

Neben dieser vorbildlichen Energiebilanz stellen die Konstruktionen unter Beweis, dass Industriebauten nicht vorzugsweise in Stahl gebaut werden müssen. Das geläufigste Gegenargument dieser Behauptung entkräftigt der Architekt selbst, indem er erklärt, dass das benötigte Budget durchaus wettbewerbsfähig gewesen sei. Dafür braucht es geeignete Partner im Holzbau, reibungslose Abläufe und das Verfolgen gemeinsamer Ziele. „Unsere Vision ist, den Holzbau ein Stück weiter voranzubringen – auch in Ländern mit geringem Holzbauanteil. Wir möchten die Vorteile des Holzbaus verstärkt erlebbar machen“, sagte Thompson am Holzbau-Forum in Garmisch. Dies gelte vor allem auch im Bereich des Industriebaus. Diese Mission scheint mit diesem Vorzeigebeispiel jedenfalls erfüllt.