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Große Ästhetik mit moderner Holzbautechnologie - mitten im Finanzzentrum Londons: Crossrail Station Canary Wharf, gebaut mit BSH von Wiehag © Claudia Gannon

London Calling

Ein Artikel von Georg Binder, proHolz Austria | 24.03.2015 - 10:09
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Große Ästhetik mit moderner Holzbautechnologie - mitten im Finanzzentrum Londons: Crossrail Station Canary Wharf, gebaut mit BSH von Wiehag © Claudia Gannon

Die in Österreich ansässigen Produzenten von Brettsperrholz (BSP) haben diese wachsende Nische in London eindrucksvoll besetzt. Vorreiter für den Einsatz von Holz ist dabei der kleine Bezirk Hackney im Nordosten des Stadtzentrums.

Das neue New York

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1 Canary Wharf, Bahnstation, Eröffnung 20182 Frampton Park Church, Kirche (2014/15)3 Dalston Lane, Wohnbau, zehn Geschosse, derzeit in Bau 4 Waterson Street, Wohnbau, gemischt mit Büros, fünf Geschosse (2005)5 Bridport House, acht Geschosse (2012)6 Murray Grove, Wohnbau, neun Geschosse (2009)7 Banyan Wharf, zehn Geschosse (2015) © Holzkurier

Mit einem Wirtschaftswachstum von 3,9 % im vergangenen Jahr ließ London Städte, wie San José im kalifornischen Silicon Valley oder Shanghai, hinter sich. Die Prognosen sind ermutigend: Bis 2020 wird jährlich ein durchschnittliches Wachstum von 3,5 % (2,7 % für ganz England) erwartet. Dementsprechend ehrgeizig zeigen sich Bürgermeister Boris Johnson und Finanzminister George Osborne in ihrem Masterplan für den 14 Millionen Einwohner-Ballungsraum: London soll New York bis 2025 als weltweites Wirtschaftszentrum übertrumpfen. Dafür möchte die Politik trotz allgemein verfügten Sparkurses 10 Mrd. £ (rund 14 Mrd. €) in die Infrastruktur pumpen, über 400.000 neue Wohnungen errichten und mehr als eine halbe Million neue Jobs schaffen.
Phyllis und Ada, Mary und Sophia, Jessica und Ellie, Elizabeth und Victoria werden sie liebevoll im Volksmund genannt – jene acht Bohrmaschinen, die rund 41 km Tunnel durch die Stadt aufschließen, den unterirdischen Teil der 100 km langen „Crossrail“-Hochleistungsbahn. Sie wird ab 2018 an die 200 Millionen Passagiere im Jahr vom Westen in den Osten der Stadt und umgekehrt bringen. Entlang der Bahnlinie entstehen 40 neue Stationen mit Büros, Einkaufszentren und Wohnungen.

Holz im Finanzzentrum

Darunter befindet sich Canary Wharf in den Docklands, entworfen vom Büro Sir Norman Foster: ein zweistöckiger Bahnhof mit vier unterirdischen Geschossen als Einkaufszentrum. Die ellipsenförmige, 300 m lange Dachkonstruktion aus mit Computermodellierung berechneten BSH-Trägern hebt sich attraktiv aus dem Stahl- und Glasensemble des Finanzzentrums ab. „Fünf Jahre nahm das Projekt in Anspruch – von der Entwicklung bis zur Fertigstellung“, verrät John Spittle, Wiehag-Verkaufsdirektor für England und Wales. Er hofft wegen des Promifaktors „Norman Foster“ auf Folgeprojekte.
Jährlich werden in London rund 70.000 neue Wohnungen benötigt. Das Angebot kann die Nachfrage bei Weitem nicht befriedigen. Die Schaffung von Wohnraum, der für Normalbürger erschwinglich ist, stellt die Stadtpolitik daher vor große Herausforderungen. Das Thema bestimmt auch den Wahlkampf für die nationalen Parlamentswahlen am 7. Mai. Die Wohnungskrise soll durch den Neubau von jährlich 200.000 „Starter Homes“ in ganz England gemildert werden.
„Starter Homes“ sind Wohnungen, die an Erstkäufer von unter 40 Jahren mit einem Abschlag von 20 % vom Marktpreis verkauft werden. Da Briten nicht gerne mieten, soll sich so der Traum vom Eigenheim leichter erfüllen.

Kleinappartements

Die Realität sieht jedoch anders aus. Wie die Immobilienagentur Pocket Homes berichtet, sind vor allem Mikroappartements in Planung, die halbwegs erschwinglich bleiben sollen. Die Briten definieren die Wohnungsgrößen über die Anzahl der Schlafzimmer, also „One, two or three bedroom“-Wohnungen.
55 m², ein Schlafzimmer, Küche, Dusche kosten beispielsweise am freien Markt im Bezirk Hackney 420.000 £ (588.000 €). 50 Shades of Grey, fantasievolle Praktiken, beschrieben von der Londoner Autorin Erika Leonard (Pseudonym: E.L. James), bleiben bei diesen Platzverhältnissen wohl ein wenig auf der Strecke.

Low Carbon Economy

„In England muss alles nachhaltig sein“, bringt der Leiter des Außenwirtschaftscenters London, Georg Karabaczek, die britische Förderpolitik für „Green Economy“ auf den Punkt. „Bis 2016 müssen alle Wohnungsneubauten „Zero Carbon Homes“ sein, also CO2-neutral. Für Nichtwohnbauten soll dies ab 2019 gelten.“ Die Bausubstanz in England gilt als deutlich unterdurchschnittlich im Vergleich zu Mitteleuropa. Sie stammt überwiegend aus dem 19. und 20. Jahrhundert und verfügt über keine nennenswerte Wand- oder Dachisolierung. Alle Produkte, die zu einer „Low Carbon Economy“ und höherer Energieeffizienz beitragen, haben daher sehr gute Chancen.

Stadtbezirk Hackney als Vorreiter

Nordöstlich der Londoner City liegt der Stadtbezirk Hackney. Er ist mit 258.000 Einwohnern und 19 km² einer der am dichtesten bevölkerten Bezirke der Stadt.
In 33 politischen Zielsetzungen hat der Bezirksrat im Rahmen der lokalen Entwicklungsagenda eine nachhaltige „Wachstumsstrategie 2025“ festgeschrieben. Im Grundsatz Nummer 29 der Bezirksagenda steht die Verpflichtung zur deutlichen Reduktion des „Carbon Footprints“ im Wohn- und Nichtwohnbau.

Einhaltung des Standards für Nachhaltigkeit

Erreicht werden soll dies durch zwingende Vorgabe zur Einhaltung des 2006 eingeführten nationalen Standards für nachhaltige Wohnhäuser. Dieser sieht eine Wertung der Wohnbauten von 3 bis 6 Sternen je nach Reduktion der CO2 Emissionen vor. Ab 2016 plant der Bezirk, alle neuen Wohnhäuser mit dem höchsten Rating 6 zu errichten. Der Bezirk möchte bis 2021 knapp 12.000 neue Wohnungen herstellen, 50 % davon als soziale Wohnbauten. Alle Nichtwohnbauten müssen nach dem BREEAM (Building Research Establishment Environmental Assessment Method) -System zertifiziert sein.

Schub für BSP

Für den Holzbau in London brachten diese Vorgaben in Hackney den entscheidenden Schub. Mit dem Pionierprojekt Stadthaus Murray Grove (KLH UK) mit einer Höhe von fast 30 m begannen im Bezirk die Erfahrungen mit dem mehrgeschossigen Holzbau in Brettsperrholzweise. Es folgten 2010 das Bridport House (Stora Enso Timber) und aktuell das fast fertiggestellte Wohnhaus Banyan Wharf mit 50 Wohnungen. Das Projekt ist ein zehngeschossiger Holz-Stahl-Hybridbau, der um einen Betonkern entwickelt wurde. Darin sind 1150 m³ BSP und 350 t Stahl verarbeitet. Entwickelt wurde das Modell nach dem Building Information Model (BIM), einem Computermodell des Gebäudes, bei dem die laufenden Änderungen allen Beteiligten stets zugänglich sind.

Gute Entwicklung

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Craig Liddell, B&K Structures, vor dem Holz-Hybrid -Wohnhaus Banyan Wharf in Hackney © Georg Binder

Craig Liddell von B&K Structures, mit dem Binder Holzbausysteme die Kooperation X-LAM Alliance gründete, schätzt, dass in den vergangenen zehn Jahren rund 400 Gebäude aus BSP in England errichtet wurden. Seiner Meinung nach könnte der gesamte Bedarf an BSP in Großbritannien bei bis zu 50.000 m³/J liegen. Die Faktoren, die für BSP sprechen, sind rasche Baugeschwindigkeit, Beengtheit der Baustellen in London, kleiner „Carbon Footprint“ und das geringe Gewicht bei gleichzeitig hoher Tragfähigkeit. Liddell freut sich, dass ein Folgeprojekt mit rund 4000 m³ BSP, 300 m vom Stadthaus Murray Grove entfernt, Anfang Juni begonnen wird.

Facharbeitermangel

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Frampton Park Church in London, gebaut mit KLH-Elementen aus der Steiermark © KLH

The Frampton Park Church von Telford Homes, ebenfalls in Hackney, ist das jüngste Projekt von KLH UK, das am Gemeinschaftsstand von Advantage Austria auf der Messe Ecobuild vorgestellt wurde. Kay Hartmann, Architekt und technischer Direktor von KLH UK, unterstreicht, dass die Engländer oft nicht über genug Fachwissen für die ordentliche Durchführung von Holzbaudetails verfügen. Eine enge Beratung und Projektbegleitung mit mitteleuropäischem Holzbau-Know-how sei daher besonders wichtig.
Informationen und Eindrücke wurden anlässlich einer zweitägigen Marktsondierungsreise für Architektur und Bauwirtschaft zur Ecobuild Messe Anfang März nach London gesammelt. Organisiert wurde die Reise von der Außenwirtschaft Austria in Kooperation mit der Wirtschaftskammer Niederösterreich und EcoPlus.