14818938434622.jpg

Die Südtiroler Eigentümer bewiesen Geduld und entschieden sich für Wertoptimierung (Details im Text) © FV Reichenfels

Jenseits der Umtriebszeit

Ein Artikel von Gerd Ebner | 16.12.2016 - 14:14
14818938457879.jpg

Verjüngungskegel: So sollen sich Bestände entwickeln © FV Reichenfels

Revierförster Ing. Wilhelm Himmelbauer geht es primär um Ertragsoptimierung. Das heißt, dass selbst Bäume der 7., 8. Altersklasse stehen bleiben, „weil sie noch einen beachtlichen Wertzuwachs liefern“. Unter dem Schirm dieser potenten Methusalems wächst die Naturverjüngung heran.

Wider die Lehrmeinung

Wie kann es sein, dass Himmelbauer 170-jährige Bäume stehen lässt? Wie kann er sagen, dass der Wert steige? Jeder Forstschüler bekommt doch schon in der 2. Klasse eingepaukt: Laut Ertragstafel ist der Zuwachs in der 3. Altersklasse am höchsten, dann sinkt er rapide.

Alles mit Daten belegbar

„Meine Beobachtung ist, dass der Zuwachs in der 2., 3. Altersklasse eher zögerlich ist und erst danach richtig anspringt. Wo soll bei so dünnen Stämmen auch der Massenzuwachs herkommen? Laut Ertragstafel erfolgt nach 100 Jahren der Zuwachsabsturz – das widerspricht der Realität: Wenn die Ertragstafel 2,4 fm/J Zuwachs vorhersagt, messen wir 8 fm/J.“
„In den vergangenen Jahrzehnten hatten wir schon vier Inventurzyklen. Ich kann also nachschauen, wie sich jeder der erfassten Bäume in fast fünf Jahrzehnten entwickelte“, verweist Himmelbauer auf eine wohl einmalige Wissensbasis. Die von ihm betreuten Wälder sind seit 1998 im Besitz der Südtiroler Olanger Seilbahnen AG. Sie wurden als ehemalige HESPA-Wälder mit wissenschaftlicher Akribie begründet, gepflegt und dokumentiert: Stichprobenraster 100 mal 200 m, jede Probefläche mit 300 m2. „Ich habe den Luxus, diese tolle Inventur mit geringem Aufwand weiterbetreiben zu können“, freut sich Himmelbauer.
Wo das nicht reicht, bohrt er nach: „Am Bohrkern sieht man, dass selbst 100-jährige Bäume mit millimeterdünnen Jahrringen auf Lichtstellung reagieren und aus der grünen Schattenkrone ein echter Sonnenkollektor wird.“

Ist Nachbarbaum mindestens um das 16-Fache seines BHD entfernt?

Die Beobachtung der Krone und deren potenzielle Weiterentwicklung sind auch das A und O der Arbeit Himmelbauers. Er legt alle Aufmerksamkeit in die Entnahme der stärksten Bedränger und versucht, die Wertzuwachsdynamik im Bestand zu nutzen. „In der Natur geht nichts nach Schema F, aber es gibt Grundregeln“, ist der Kärntner überzeugt. Eine davon: „Innerhalb der 16-fachen Entfernung seines Durchmessers ist jeder Nachbarbaum ein Bedränger meines Z-Baums.“ Um diese Distanz festzustellen, verwendet er eine Lehre.
Schon die Erstdurchforstung wird in Reichenfels als Strukturdurchforstung durchgeführt – selbst im Seilgelände. Sie bringt im Schnitt bis zu 50 % Blochholz. „Minderwertige Bäume nehme ich gleich raus. Dafür bleiben 10 cm-Stangen meistens stehen, weil diese in 20 Jahren schöne Bloche ergeben. Meine Arbeitszeit fließt zu einem Gutteil in die Auszeige. Dafür haben viele Förster angeblich keine Zeit mehr“, verweist er. „So gut kann aber kein Ernteunternehmer sein, dass er mir die Gestaltung meiner Bestände abnimmt. Andere Betriebe bekämpfen Gras oder Rüsselkäfer – diese Arbeiten gibt es bei uns gar nicht“, erklärt Himmelbauer die biologische Automation („Natur für uns arbeiten lassen“).
Der Forstbetrieb beschäftigt ausschließlich Ernteunternehmer und Bauernakkordanten. „Die können ruhig um 2 bis 5 €/fm mehr bekommen. Dafür müssen sie aber entsprechend waldschonend arbeiten. Es ist gar nicht so schwer, beim Unternehmer 500 €/ha bei einem Eingriff zu sparen. Auf Kosten der Qualität! Mein Ziel ist es aber, weiterhin hochwertige Wälder wachsen zu lassen. In beschädigten Beständen sinkt der jährliche Wertzuwachs durchschnittlich um 200 €/ha.“

2 Mio. zusätzlich entnehmen oder doch wachsen lassen?

14818938434622.jpg

Die Südtiroler Eigentümer bewiesen Geduld und entschieden sich für Wertoptimierung (Details im Text) © FV Reichenfels

Als vor Jahren eine neue Eigentümergeneration die Verantwortung übernahm, kam die Idee auf, binnen fünf Jahren alles Altholz (rund 60.000 fm) zu ernten, „weil es ja ohnehin hiebsreif wäre“. Als Förster hätte sich Himmelbauer dem 2 Mio. €-Wunsch nicht grundsätzlich verwehrt. Er versuchte aber, konkrete Entscheidungshilfen anzubieten – und konnte damit überzeugen: „Für einen hohen, laufenden Wertzuwachs brauche ich älteres Holz. Die Altersklassen 5, 6, und 7 liefern mir nachweislich hohe, erntekostenfreie Erlöse. In den älteren Wäldern werden systematisch reife Bäume (BHD 70+) sowie Cx-Bäume entnommen, auch wenn es sich dabei um Massenzuwachsträger handelt. Gleichzeitig werden damit Wertzuwachsträger mit A/B-Qualität begünstigt.
Selbst wenn der Zuwachs von 8 fm/J mit Cx kurzfristig auf 6,5 fm/J A/B zurückgeht, ändert sich wertmäßig nichts. Nach zehn Jahren steigt der Massenzuwachs wieder und so erhöht sich auch der Wertzuwachs“, weiß Himmelbauer. „Es zählt doch nur, was unterm Strich bleibt. Nicht die Masse entscheidet, sondern der Deckungsbeitrag.“
Hätte man in Reichenfels wirklich alles Altholz geerntet, wären die Wertzuwachsträger weg. Ein für die nächsten 30 Jahre kaum lebensfähiger Betrieb wäre zurückgeblieben.

Wertzuwachs zählt

Der durchschnittliche Vorrat interessiert Himmelbauer nicht, weil „dieser für die tägliche Arbeit nichts aussagt. Der Wertzuwachs und die Wuchsdynamik – die zählen“. Die Erntebäume werden „strategisch herausgepickt“. Das gibt die Flexibilität, mehr zu entnehmen, wenn der Eigentümer wünscht, oder einen lukrativen Marktpreis. Bei geringen Fixkosten – der einzige Mitarbeiter ist der Förster – erntet der Forstbetrieb im Schnitt 5.000 fm/J. In Zeiten von top Holzpreisen waren es auch schon 10.000 fm/J. Heuer werden es „mangels lukrativer Nachfrage“ lediglich 2.000 fm sein.

Hohen Zuwachs im Alter unterstützen

Wachstum wird laut Himmelbauer vielfach selbst von Insidern mit Höhenzuwachs verwechselt. „Wo soll ein 36 m-Gigant noch hinwachsen? Kaum jemand sieht: Der BHD nimmt vielleicht nur um 7 cm zu, in 7 m Höhe sind es aber oft sogar 9 cm. Diese Masse und die geringere Abholzigkeit bringen echtes Geld.“ Werden hiebsreife Bäume entnommen, gibt es eine Abdeckung ohne Folgekosten, weil die Naturverjüngung da ist. Im Betrieb muss nichts gepflanzt werden.
Unweit des Forstbetriebes Reichenfels gilt hingegen eine Umtriebszeit von 80 bis 90 Jahren. „Das kommt mir vor, als würde eine Fabrik die hochproduktiven Maschinen als Endprodukte verkaufen. Da werden Cashcows viel zu früh entnommen“, ist seine Meinung. Überstarke Stämme werden jedoch auch bei Himmelbauer sofort geerntet, bevor sie nur mehr schwer vermarktbar werden.

Wald mit Wild

„Wald mit Wild, aber Wald vor Wild“, lautet die Eigentümer-Vorgabe im FB Reichenfels. Die Art der Bewirtschaftung mit reichlich Naturverjüngung bietet dem Wild viel Äsung, aber auch Sichtschutz – was die Bejagung erschwert.
Aufgrund von Pistenbauten und Rotwildüberhege in der Nachbarschaft änderte sich ab 2005 die Situation für das Forstrevier. Waldverwüstung mit 80 % geschälten Bäumen war die Folge. In Summe müssen jetzt im „Rotwildprojekt Saualpe“ 1000 Stück Rotwild, insbesondere Kahlwild, abgebaut werden. Die Abschussnehmer bekamen daher für zwei Jahre die interne Vorgabe: „Für jeweils vier erlegte Stück Kahlwild gibt es einen Hirsch als Belohnung.“ Die Prämisse dabei: Kalb vor Tier – in Naturverjüngungsbeständen eine große Herausforderung bei der Rotwildreduktion. Die Anpassung des Wildbestandes an die Tragfähigkeit des Lebensraums sollte künftig auch überregional die Zielsetzung sein.