Wohnraum- statt Flüchtlingskrise
Gunther Adler, zuständiger Staatssekretär für Wohnbau im deutschen Bauministerium, spricht die gesellschaftspolitische Schlüsselrolle der Bauwirtschaft an: „Wir haben keine Flüchtlings-, sondern eine Wohnraumkrise. Wir brauchen nicht, wie Anfang 2015 noch angenommen 257.000 Wohnungen pro Jahr, sondern wir sprechen jetzt von mindestens 350.000. Nur dann haben wir ausreichend Wohnraum für diejenigen Menschen, die bei uns leben wollen.“Verdoppelung der Fördermittel
Dafür nimmt die öffentliche Hand in Deutschland Geld in die Hand. Beschlossen wurde laut Adler die Verdoppelung der Kompensationsmittel des Bundes an die Länder zur Förderung von sozialem Wohnraum. Sie steigen von 580 Mio. € auf über 1 Mrd. €/J.Wohnbauprogramm in Holz?
Im Umbruch liegt die Chance auf Neues. Der Druck auf die Wohnbauleistung bricht bisherige Modelle auf. Bei Politik und Planern spürt man eine Erwartungshaltung an die Holzbranche. Holz brächte viele Anforderungen mit: einen hohen Grad der Vorfertigung, es ist leicht, macht wenig Lärm, ist atmosphärisch und hat einen kleinen „C02-Footprint“, daher eine hohe Akzeptanz in der Stadtgesellschaft. Ein Wohnbauprogramm in Holz?Industriell vorgefertigte Prototypen werden gesucht. Die Bauträger sind offen, allerdings nicht für „Experimente“. Schließlich zählt die Rendite. In der Holzbaubranche herrscht Skepsis ob der Erreichung der notwendigen Kostenvorgaben im sozialen Wohnbau. Regelwerke im Holzbau sind vielfach zu kompliziert und verteuern das Bauen. Könnte die Branche etwas gemeinsam entwickeln? Neutrale Prototypen für den Wohnbau, die technisch beherrscht werden? Unterschiedlich abgestellt auf den städtischen Bereich und das Umfeld der Ballungsräume? Von den Behörden als Wohnbaustandard im Holzbau akzeptiert?
Versuche gab es bereits Anfang der 1990er-Jahre in Bayern. Dort wurde mit Politik und Holzbranche ein mehrgeschossiges Wohnbauprogramm für sozial schwache „Einsiedler“ entwickelt. Es blieb beim Versuch – die Erfahrungen könnten heute hilfreich sein.
Sonderabschreibungen geplant
Ein Gesetzesentwurf sieht Sonderabschreibungen im Mietwohnbau für die Bauwirtschaft in den ersten drei Jahren vor. Insgesamt 35 % der Gebäudegestehungskosten sollen abschreibbar sein. Förderfähig werden Herstellungskosten bis maximal 2000 €/m² Wohnfläche. Gefördert werden nur neue Wohnräume in Gebieten mit angespannter Wohnungslage, die zwischen 2016 und 2018 errichtet werden.Anfang Mai kam der Entwurf allerdings in letzter Minute wieder in Diskussion. Gemeinden und Bauunternehmen bezweifeln, ob dadurch der gewünschten Steuerungseffekt zu mehr sozialem Wohnbau erreicht wird.
Alte Wohnmodelle neu entdeckt
Einig ist man sich in der Politik darüber, was man nicht möchte: betonierte Massensiedlungen, die als hochgeschossige Trabantenstädte an der Peripherie der Städte liegen. Vielmehr sollen wieder Typologien aufgegriffen werden, die bei den Menschen beliebt waren.Das Modell der Gartenstadt aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts beispielsweise –ringförmig angeordnet um die Kernstadt mit hohem Grünanteil und niedriger Verbauung – gilt als erstrebenswert. Die Abkehr von Kellern zu ebenerdigen Stellflächen sowie einfache Leitungsführung in zentralen Schächten, wie bereits in den Gründerzeitbauten umgesetzt, sollen wiederum beitragen, die Baukosten zu senken.
Kosten im Ausbau stark gestiegen
Zur Analyse der Entwicklung der Baukosten in den vergangenen Jahren schuf das Bauministerium im Rahmen des „Bündnisses für bezahlbares Wohnen“ die „Baukostensenkungskommission“. Deren Endbericht zeigt auf, dass sich der Baukostenindex ab 2007 höher als die allgemeine Teuerungsrate entwickelte. „Moderaten Kostensteigerungen im Rohbau stehen stark gestiegene Kosten bei den Ausbaugewerken gegenüber“, erklärt Michael Neitzel, Geschäftsführer des Instituts für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung (InWis) aus Bochum/DE.Die Kostentreiber
Die einfachere Gestaltung der Grundrisse und somit des Baukörpers soll helfen, Kosten zu senken, so der Experte. Kompakte Baukörper, die weniger Gesamtfläche benötigen, dazu die Minimierung von Verkehrsflächen sowie nutzungsneutrale Grundrisslösungen sind die Voraussetzungen.
Die Wohnung der Zukunft wird in jedem Fall kleiner sein, eine sogenannte „Micro-Wohnung“. Ein Förderprogramm des Bauministeriums für Studentenwohnungen betreffen die sogenannten „Vario-Wohnungen“: Der Individualraum darf 30 m² einschließlich des Baderaums nicht überschreiten.
Industriell und seriell
Sie führen außerdem zu systematischen und damit günstigeren Prozessabläufen im Team mit Auftraggebern, Planern und Ausführern.
Verpflichtende Folgeabschätzung
Wohnplatzpflicht
„Die Neubauleistung in Deutschland konzentriert sich im Geschosswohnbau noch zu sehr auf das hochpreisige Segment“, unterstreicht Hermann die Notwendigkeit, vorhandenes Kapital mit Anreizen für den Mietwohnbau anzusprechen. Sonderabschreibungen sind der richtige Weg. Voraussetzung ist die Verfügbarkeit von Bauland. Dieses mit Grundstücksabgaben zu organisieren, ist das Gebot der Stunde in den Städten.
Kapazitäten im Neubau beschränkt
„Der Leerstand herrscht dort, wo ihn Menschen nicht brauchen. Wir müssen daher die benötigte Wohnbauleistung schaffen“, stellt Axel Gedaschko, Präsident der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen, fest. Die Frage nach der Finanzierbarkeit darf nicht aus den Augen verloren werden. „61 % der im Bundesverband vereinten Wohnbauträger haben schon heute die Grenzen ihre Kapitalmöglichkeiten erreicht“, betont Gedaschko. Er schätzt, dass zusätzlich 34 Mrd. € für die erhöhte Neubauleistung von 140.000 Wohnungen pro Jahr notwendig wären. 70 % der befragten Mitglieder zeigen Interesse am seriellen Bauen. Die Kapazitäten für zusätzliche Neubauten sind aber auf 10 bis 20 % der aktuellen Produktion beschränkt.Positives Neubauklima notwendig
Ins gleiche Horn bläst der Vizepräsident der deutschen Bauindustrie, Markus Becker: „Weg vom Unikat, hin zum Standard – das ist die wichtigste Erkenntnis für mehr Wohnbauleistung. Dazu lichtoptimierte Fassaden mit reduzierten Fensterflächen und einfache Grundrisse, wodurch die Wohnfläche deutlich erhöht wird.“ Die Akzeptanz der Stadtgesellschaft soll mit beliebten Wohntypologien erhöht, der „Carbon Footprint“ der Bauten sehr klein gehalten werden. Dadurch erhofft sich die Branche ein positives Neubauklima.Städtvergleich: Berlin und Wien bauen Zukunft
Beide Städte sind die am schnellsten wachsenden Ballungsräume in Europa. Die Prognose für Berlin gleicht jener für Wien: Bis 2030 wachsen die Hauptstädte Deutschlands und Österreichs um jeweils 300.000 Menschen. Berlin wird dann die vier Millionen-, Wien die zwei Millionen-Einwohnergrenze durchbrechen.Laut dem Berliner Abteilungsleiter für Wohnungswesen, Jochen Lang, benötigt Berlin rund 20.000 Wohnungen pro Jahr zur Abdeckung der Nachfrage. Im Vergleich dazu liegt Hamburg bei 6000 Wohnungen. Ein Drittel der Wohnungen kann von den stadteigenen Wohnbaugesellschaften errichtet werden. 30 % davon sind mietpreis- und belegungsgebunden. Laut Lang verfügen 51 % der Berliner Bevölkerung über ein Einkommen, das innerhalb der Fördergrenze liegt. Berlin plant zwölf neue Wohnsiedlungen im Umfeld der Stadt zum Teil nach dem Vorbild der Gartenstädte. Zur Erstversorgung der Flüchtlinge werden 70.000 Wohnungen in Modulbauweise errichtet. Die dazu entwickelten Module aus Beton werden in drei- bis viergeschossigen Höhen errichtet und verfügen über jeweils rund 70 Wohnplätze.
Die Stadt Wien reagiert auf die ständig nach oben revidierte Bevölkerungsprognose mit einer Wohnbauoffensive von 2016 bis 2018. Dadurch soll die Neubauleistung von jährlich 10.000 Wohneinheiten, 7000 im geförderten Bereich, um mindestens 30 % angehoben werden. Der Neubau von Gemeindewohnungen soll auf 4000 Einheiten verdoppelt werden. Deren Nettomieten sind entweder mit maximal 6,1 €/m² oder 4,75 €/m² begrenzt - bei unterschiedlichen Finanzierungsbeiträgen von maximal 150 und 500 €/m² Nutzfläche. Die Obergrenzen gelten für mindestens zehn Jahre. Wiens Wohnbaustadtrat Michael Ludwig kündigte auch ein Sofortbauprogramm in Holzbauweise für die Unterbringung von rund 1000 Flüchtlingen an.
Die Stadt Wien ist als Eigentümer von rund 220.000 Wohnungen der größte kommunale Wohnverwalter in Europa. Über Bauträgerwettbewerbe des stadteigenen Wohnfonds werden Wohnbauprojekte ausgeschrieben und vergeben. Darunter waren auch die Wohnanlagen Mühlweg, Breitenfurter Straße und Wagramer Straße in Holzbauweise. Der Holzbauanteil im Wohnbau in Wien beträgt laut proHolz-Studie 8 %, bezogen auf das umbaute Volumen.