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Dr. Dieter Kainz © Privat

Reflexion der Branchenlage

Ein Artikel von Gerd Ebner | 19.11.2013 - 15:33
Die vergangenen zwei Jahrzehnte haben die mitteleuropäischen Großbetriebe sich über drei Merkmale definiert:
    ProduktionsmengeKostenführerschaftkaum Differenzierung

Trauben hingen tief

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Dr. Dieter Kainz © Privat

„Ab einer gewissen selbstdefinierten Größenordnung machten strategisch zu viele dasselbe. Ich war in meinen Funktionen mittendrin – also auch dabei“, erläutert Dr. Dieter Kainz. „Es hat viele lukrative Jahre gegeben, weil die Umstände dazu passten: Hochkonjunkturphasen, gute Rundholzimportmöglichkeiten und Windwürfe alle paar Jahre.“
Es gab also:
    genug Absatzmöglichkeiten zu guten Erlösenausreichend Rohstoff mit „teilweise naiven Zuwachsprognosen“ (Kainz)Banken, die vertrauensvoll Geld zur Verfügung stellten
„Die Umstände erlaubten es, strategische Überlegungen nahezu sträflich zu vernachlässigen“, sieht Kainz die Situation heute kritisch. Wir alle kennen die Reihenfolge: Strategiekrise –> Erfolgskrise –> Liquiditätskrise –> ?

Heute Doppelschere

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Produktionsentwicklung der zehn größten österreichischen Sägewerke © Holzkurier

Jetzt ist alles anders. Kainz: „Am Rohstoffmarkt entstand ein Verkäufermarkt und im Absatz sind die Säger mit einem Käufermarkt konfrontiert.“
Die Wachstumsphilosophie endete also irgendwann im Jahr 2008 für alle quasi über Nacht. Jetzt gibt es laut Kainz nur die Möglichkeit, über Konsolidierung den Markt in Ordnung zu bringen. „Ich bin überzeugt, dass das strukturelle Problem wesentlich größer ist als das konjunkturelle. Das Problem manifestiert sich eben in der Doppelschere Verkäufer-/Käufermarkt über mehrere Wirtschaftsjahre. Da sich seit 2008 kaum etwas verändert hat, muss jetzt die ertragswirtschaftliche Sanierung vieler Marktteilnehmer im schwierigsten Umfeld erfolgen.“

Seit 2008 Substanzverlust

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Nadelschnittholzproduktion in Österreich 2001 bis 2012 © Holzkurier

Kainz irritiert, dass man von Konsolidierung spricht, aber den Weg dorthin nicht definiert. Die Konsequenz ist eine passive Konsolidierung – also warten, bis Betriebe zusperren müssen und sich die Branche von alleine gesundet. Das funktioniert auch. Nur erleidet die gesamte Branche in dieser Phase einen schleichenden Substanzverlust. Mit der Folge, dass das Geld für Forschung und Entwicklung fehlt, dass nötige Invesistitionen nicht getätigt werden können und die
Wettbewerbsfähigkeit dramatisch sinkt.“

Nirgends aktive Konsolidierung

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Nadelrundholz-Import nach Österreich von 2001 bis 2012 © Holzkurier

Wirkliche aktive Konsolidierung sieht Kainz nicht: „Nirgends werden Linien dauerhaft vom Markt genommen, nirgends gibt es geplante substanzielle Kapazitätseinschränkungen. Es ist nicht Bankenaufgabe, die Holzindustrie zu konsolidieren, das muss die Branche selber hinbekommen. Auch die Forstwirtschaft spielt in diesem Szenario nur eine passive Rolle. Jeder Forstwirt muss trachten, den besten Preis zu erzielen – so machen wir das ja auch“, meint Kainz. „Wenn die Branchenstruktur nicht passt, helfen ein paar Euro weniger auch nicht wirklich. Überall flüchtet Geld in Realitäten und wir verlangen von den Kleinwaldbesitzern, dass sie aus Realitäten Geld machen.“

20 % daneben, nicht nur 3 %

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Einschlagsentwicklung in Österreich 2001 bis 2012 © Holzkurier

Das Angebot-Nachfrage-Gefüge gerät laut Betriebswirtschaftslehre in jedem Markt aus den Fugen, wenn sich ein Faktor um ±3 % verändert. „Bei der derzeitigen Nutzung in Deutschland und Österreich liegt die Produktionskapazität laut Expertenmeinung zumindest um 20 % daneben“, betont Kainz. „Import und Stürme gaben uns die Möglichkeit, den Wettlauf um Größe zu starten – jetzt spüren wir den Fluch der Größe durch den teilweise ruinösen Kampf am Rohstoff- und Absatzmarkt.“
Den Einwurf, es werde doch zurückgefahren, sieht Kainz nur bedingt: „Maßnahmen, die ich sehe, sind mehrheitlich rohstoffgesteuert. Kommt weniger Holz, wird weniger geschnitten. Das ist rein passiv. Es wird gerne übersehen: Wenn man mit gleich vielen Linien weniger schneidet, erhöhen sich die Produktionskosten der gesamten Branche . Das ist ein Teufelskreis. Für die Branche wäre es vernünftiger, weniger Linien zu betreiben, die dafür aber voll auszulasten.“

Aktiv sein oder Substanzverlust

„Der Unterschied zwischen aktivem und passivem Agieren ist: Jetzt andere Wege gehen oder warten, bis man manövrierunfähig ist“, lautet seine drastische Schlussfolgerung. „Alleine die Kosten zu senken, ist eine operative Aufgabe, aber noch keine Strategie. Das Niveau der mitteleuropäischen Werke ist immer noch gut. Wenn aber eine 1 Mio. fm-Linie nur noch jährlich 500.000 fm einschneidet, dann gibt es massive Einschnitte ins Betriebsergebnis. Kleine, mittlere Unternehmen haben es insofern leichter, als sie Fixkosten leichter variabilisieren können. Da arbeitet man heute zum Beispiel mit drei Mitarbeitern, morgen mit fünf.“
Der Einstieg der Carlyle-Gruppe bei der Klenk Holz AG beweist laut Kainz, dass „die Branche offenbar sexy genug für Investoren (Konsolidierungspotenzial) ist. Die wollen innerhalb kurzer Zeit Rendite einfahren. Es wird extrem spannend, zu sehen, wie sie es angehen wollen.“ Von Outsidern könnten neue Sichtweisen in die Branche kommen. Das Umfeld zeigt sich derzeit jedoch sehr herausfordernd und man muss die Komplexität der Branche rasch erfassen können.

Großgewerbe oder Industrie

Die Sägewerke in Deutschland und Österreich stünden laut Kainz vor der Frage, „Großgewerbebetriebe zu bleiben oder wirkliche Industrieunternehmen zu werden“. Für ersten Weg spreche zunächst ein starker Regionalitätsbezug der Branche.
„Würden sich mehrere Unternehmen zusammentun, könnte man die kritische Produktionsmenge erreichen und die Märkte ausbalancieren. Das verursacht natürlich auch Schließungskosten“, meint Kainz weiter.
„Wirkliche Kapazitätsrücknahmen wird man mit der derzeitigen Eigentümerstruktur aber so einfach nicht hinbekommen. Da ist selbstverständlich jedem das Hemd näher als der Rock. Ich habe hohen Respekt vor dem Eigentum und kann das auch nachvollziehen. Viele Unternehmen sind jedoch zu befangen, immer die betriebswirtschaftlich notwendige Entscheidung zu treffen. Gibt es nur die leiseste Erholung, stecken viele wieder den Kopf in den Sand und verfallen der Hoffnung. Da sinkt der Festmeterpreis vorübergehend und die langfristigen strategischen Überlegungen sind vergessen“, erkennt Kainz aus seiner Erfahrung.

Intelligenteres als 2-by-4 nötig

Wenn die europäische Holzindustrie wirklich ihr Innovationspotenzial mehr nutzt, gibt es in Europa genug Bedarf für höherpreisige Produkte. „Es ist doch kein langfristiges Businessmodell, aus Europa Mabashira nach Japan oder 2-by-4 nach USA zu liefern. Wir brauchen höher wertschöpfende Produkte. Da relativiert sich dann auch die Diskussion um den Rundholzpreis.“
Ein Bauprodukt mit höherer Wertschöpfung ist für Kainz Brettsperrholz (BSP). „Die Produktionen schossen aus dem Boden und schon wurde daraus ein Commodity-Produkt“, bedauert Kainz. Er bezeichnet BSP als „noch nicht der Weisheit letzter Schluss“, da der Holzanteil zu hoch wäre. „Die Masse muss reduziert und die Anwenderfreundlichkeit gesteigert werden, etwa über intelligente Verbindungssysteme und eine optimierte Abstimmung von Planung und Produktion. Da wurde ohne Marktaufbereitung die Produktion rasch hochgefahren.“

Next big thing: besseres BSP

„The next big thing“ in der Branche wird laut Kainz eine verbesserte BSP-Platte sein. „Die Verwendung muss über den reinen Holzbau hi-nausgehen. Jedes Bauunternehmen sollte diese Platten einsetzen können. Diese Lücke muss geschlossen werden.“ Dass es jetzt Dimensionsharmonisierungsbestrebungen gibt,ist für Kainz wiederum positiv. Eine lasttragende Platte mit weniger Holz werde im urbanen Bereich kurzfristig Erfolg haben können, meint Kainz.
Bei der Nutzung sämtlicher Holzfasern an einem Standort ist die Branche sehr weit. „Uns allen ist da fast ein Perpetuum mobile gelungen. Hochintegrierte Standorte beweisen heute eine höhere wirtschaftliche Standfestigkeit. Ob die derzeitige Biomassenutzung und die Pelletierung dauerhaft so einen großen Erfolg haben werden, glaube ich aber nicht – angesichts der zunehmenden Diskussion um den Rohstoff innerhalb der Wertschöpfungskette.“
Die Sturmkatastrophe auf den Philippinen zeigt Kainz, dass die Branche bei „affordable housing“ (leistbares Wohnen) großes Potenzial hätte. „Regierungen in potenziellen Erdbeben-, Tsunami- oder Taifunregionen sollten Lösungen für die Krisenfälle vorhalten. Da kommt Ikea, um 1000 US-$-Häuser zu entwickeln“, bedauert er ein Versäumnis.

Trotz allem, große Zukunft

Abschließend billigt Kainz der Säge- und Holzindustrie zu, eine „hochinteressante Branche mit großer Zukunft zu sein – vorerst bleibt sie spannend“.