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"La burocrazia uccide" - Verwaltung vernichtet! Demonstrationen, wie hier Ende Oktober in Palermo, stehen in Italien mittlerweile an der Tagesordnung © Georg Binder

Meer der Ratlosen

Ein Artikel von Georg Binder | 25.11.2013 - 14:07
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"La burocrazia uccide" - Verwaltung vernichtet! Demonstrationen, wie hier Ende Oktober in Palermo, stehen in Italien mittlerweile an der Tagesordnung © Georg Binder

Die Krise in Italien hat ihren Tiefpunkt erreicht, 2014 könnte es nur aufwärtsgehen“. Diese im Holzkurier Anfang November beschriebene Hoffnung lässt sich bei einem Besuch in Sizilien leider nicht bestätigen. Im Gegenteil: Eingebettet in den palermischen Familienverbund spürt man, wie tief sich die Rezession in alle Lebensbereiche hinein- gefressen hat. Die Ersparnisse gehen zu Ende und neue Abgaben drücken auf das ohnehin dürftige Einkommen der Familien. Die Chance auf einen Arbeitsplatz liegt bei null. Während die Sizilianer von der Hand in den Mund leben, unterhält die Region einen politischen Apparat, der doppelt so viel kostet wie jener der Lombardei – einer Region mit doppelt so vielen Einwohnern. Besonders erschreckend ist die Rat- aber auch Hoffnungslosigkeit, was den Ausweg aus der Krise betrifft, vor allem bei der Jugend.

4 von 10 Jugendlichen ohne Arbeit

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Das Genie von Palermo: Sein Rat sollte nun wirklich gefragt sein © Georg Binder

In Italien stieg die Arbeitslosigkeit im September auf 12,5%. Das ist der höchste aufgezeichnete Quartalswert seit 1977. Die Zahl der Beschäftigungslosen erhöhte sich laut ISTAT auf 3,2 Millionen, um 391.000 mehr als ein Jahr zuvor. Besonders hart trifft es die Jugend: Vier von zehn jungen Menschen unter 24 Jahren sind ohne Arbeit. In Sizilien sind es sogar fünf von zehn, also jeder zweite Jugendliche. Dies bei einer Arbeitslosenrate von 20%. Im aktuellen Bericht der italienischen Zentralbank „Banca Italia“ gaben rund 40% der befragten Industriebetriebe einen gesunkenen Umsatz in den ersten neun Monaten des Jahres an. Besonders betroffen ist die Bauindustrie, wo sechs von zehn Betrieben einen Umsatzrückgang meldeten.

Zu wenig Geld aus Rom

Unternehmer und Arbeitnehmer versuchen unter Heranziehen der Cassa Integrazione (CIG), also der staatlichen Lohnausgleichskasse für Kurzzeitarbeitslose, sowie mithilfe von Lohnverzichten, die Krise zu durchtauchen. Waren es in Sizilien in den ersten neun Monaten des Vorjahres 9,7 Millionen gemeldete Stunden in der CIG, belief sich der Wert bereits im heurigen März auf über 10,1 Millionen. Der monetäre Bedarf zur Deckung der CIG in der Region Sizilien wird daher weit über der Summe des Vorjahrs von 200 Mio. € liegen. Dennoch hat Rom Anfang November nur 23 Mio. € zur Abdeckung der Kasse zugesagt, was zu heftigen Protesten und einem Generalstreik führte. Für eine ausreichende Dotierung der CIG sollen nun Gelder des Strukturfonds für die Südregionen Apulien, Kalabrien, Kampanien und Sizilien herangezogen werden.

Rückgang beim Privatkonsum

Den Rückgang des Konsums spürt der Einzelhandel sehr deutlich. Seit Anfang Oktober gilt der um einen Prozent angehobene Mehrwertsteuersatz von 22%. In Sizilien lagen die Einzelhandelsumsätze im III.Quartal um –20% gegenüber dem Vorjahr zurück. In Palermo haben kleine Dienstleister und Handelsgeschäfte am Ende des Tages nicht einmal das Retourgeld für eine 50 Euro-Banknote. Große Handelsketten locken mit Rabatten von 20 bis 50%, um den Umsatz ein wenig in Schwung zu halten.

Neue Belastungen

Die Abgabenlast und bürokratischen Hürden werden immer größer. Als Beispiel sei die neue kommunale Abgabe TARES (Tariffa comunale sui rifiuti e servizi), eine Folge des Dekrets „Salva Italia“, angeführt. In dieser Abgabe sind nicht nur Gebühren für die Müllabfuhr- und Entsorgung enthalten, sondern auch neue Abgaben für kommunale Dienstleistungen, wie Beleuchtung, Erhaltung der Straßen und Grünräume, sowie die lokale Polizei. Schätzungen ergaben, dass allein die TARES den Familien um rund 40% mehr kostet als das bisherige System. Die erste Rate wurde nach einer Verschiebung im Juli fällig. In Sizilien gingen bisher erst etwas über 50% der TARES ein.

18 Genehmigungen, eine Investition

Für die Genehmigung einer Indus-trieanlage, beispielsweise im pharmazeutischen Bereich, werden in Süditalien unzählige Bewilligungen benötigt. Darunter jene der nationalen Flugsicherung, von mindestens vier Umweltbehörden, der lokalen Gesundheitsbehörde, der Feuerwehr usw. Bis also der Grundstein gelegt werden kann, ist das reibungslose Durchlaufen von 18 Behörden erforderlich.

Realitätsverweigerung

Italiens Politiker scheinen den Blick auf die triste Realität verloren zu haben. Gefangen in ihrer über Jahrzehnte aufgebauten Scheinwelt, liefern sie sich unter- und gegeneinander trickreiche Machtkämpfe. Sie füllen damit zwar die ersten Seiten der Tagespresse, nicht jedoch die leeren Taschen der Bürger und Unternehmer. Die Sizilianer selbst betrachten dieses Spektakel mit Unverständnis und Ablehnung.

Was kostet die Politik?

Nicht von ungefähr taucht daher eine Studie des zweitgrößten Gewerkschaftsbündnis Unione Italiana del Lavoro (UIL) in den Medien auf, welche die Kosten der politischen Einrichtungen Italiens untersucht und auflistet. Der Umfang der Studie umfasst die institutionellen Organe und Vertreter des Zentralstaats, der Regionen, Provinzen, Gemeinden sowie Beteiligungen derselben an ausgegliederten Organisationen. Als Basisdaten zur Berechnung dienen die Budgetvoranschläge des Zentralstaates und der Regionen von 2012, für Provinzen und Gemeinden jene aus dem Jahr 2011.

209 pro Steuerzahler

Nach den Hochrechnungen der UIL leben in Italien über 1,1 Millionen Menschen direkt oder indirekt von den politischen Institutionen. Knapp 500.000 davon sind bei nachgelagerten, den öffentlichen Sektor nahestehenden Gesellschaften beschäftigt. Die Kosten für die Repräsentanten der politischen Einrichtungen betragen rund 6,3 Mrd. €, umgerechnet 209 € pro steuerpflichtigen Beitragszahler. Die 6 Mrd. € verteilen sich zu rund 3,1 Mrd. € auf Kosten für die Vertreter der staatlichen Einrichtungen, 1,1 Mrd. € für die Regionen und 2,1 Mrd. € auf Provinzen und Gemeinden.

Sizilien mit Kostenführerschaft

Bei den Regionen führt Sizilien die Kostenstatistik mit 162 Mio. € vor Lazio mit der Hauptstadt Rom (138 Mio. €) und Sardinien mit 104 Mio. € (im Vergleich dazu Lombardei mit der Wirtschaftsme-tropole Mailand: 66 Mio. €). In der Regionalregierung Siziliens sitzen 13 politische Vertreter, beschäftigt sind zusätzlich aber 90 Berater und Assessoren.

Ans Meer

Kurzfristigen Trost spendet den Menschen vielleicht eine Promenade an das für November immer noch herrlich türkisblaue Meer in Mondello, dem einst so mondänen Strandbad vor Palermo. Vorbei an der Fincantieri Werft im Hafen, deren Arbeiter in der CIG vergeblich auf ein Schiff warten: die bei der Insel Giglio auf Fels geführte Costa Concordia.