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Innovativ: Die Neue Holzbau experimentiert mit Buchen-Furnierschichtholz © Johannes Plackner

In,genie‘ur-Holzbau

Ein Artikel von Hannes Plackner (für Timber-Online bearbeitet) | 23.08.2013 - 17:22
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In der aufgeräumten Produktionshalle werden rund 6500?m3/J BSH hergestellt - spezialisiert hat man sich auf Sonderprodukte, wie etwa hochfeste Fichtenträger mit heterogenem Querschnitt oder Eschen-BSH © Johannes Plackner

Fast unbemerkt schlummert das Wort „Genie“ in der Branchenbezeichnung Ingenieurholzbau. Der Duden definiert dieses oft gebrauchte Substantiv mit „überragender schöpferischer Begabung“. Kaum wo sind die beiden Begriffe schöner im Einklang als bei der Neuen Holzbau im schweizerischen Lungern. Der BSH-Hersteller samt Ingenieurabteilung im Kanton Obwalden ist eine der interessantesten Adressen, was Forschung im Holzbau angeht. Zur Marktreife gebracht wurden schon ein neuartiger Anschluss und Laubholz-BSH bis zur Festigkeitsklasse GL 60. Neuester Coup ist ein Brettschichtholz-Träger mit Loch, aber ohne Abschwächung.
Bekannt wurde die „nH“ mit dem Gewindesystemanker (GSA). Dabei werden metrische Stahlschrauben mit Epoxidharz ins Holz geklebt. Das ergibt eine duktile Verbindung, die sich leicht berechnen lässt, weil nur der Stahlquerschnitt für die Bemessung verantwortlich ist. In der Schweiz ist diese Technologie seit 15 Jahren im Einsatz. Seit Ende 2012 besitzt die nH auch die Allgemeine Bauaufsichtliche Zulassung in Deutschland (s. Holzkurier Heft 21, S. 17). Diese Technologie war auch Basis der jüngsten Entwicklung, des ALP-GSA-Verfahrens. Das steht für Alternative Load Path oder auf Deutsch: Alternatives Last Pfad-Verfahren. GSA und ALP-GSA sind registrierte Marken. Was darunter zu verstehen ist, sah der Holzkurier als erstes Fachmedium beim Vor-Ort-Besuch.

BSH-Träger mit Loch, aber ohne Schwächung

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nH entwickelt auch Holz-Beton-Verbund kombiniert mit GSA-Technologie - hier im Prüfstand © Johannes Plackner

Hinter der bemerkenswerten BSH-Produktion (s. Kasten) liegt das Labor der Neuen Holzbau. Dort wartet ein Biegeprüfgerät, das so manchem Holzforschungsinstitut gut anstehen würde. Mehrere Meter lang ist es. Mit drei Hydraulikzylindern können bis zu 900 kN Kraft aufgebracht werden. Das Labor ist das Reich von Ernst Gehri. Der emeritierte ETH-Professor lugt beim Holzkurierbesuch gerade durch seine jüngste Entwicklung – einem 72 cm hohen BSH-Träger, genauer gesagt durch ein 36 cm großes Loch, mittig im Träger.

Kraft läuft durch neue Pfade

Seit gut einem Jahr forscht die Schweizer Holzbau-Koryphäe (Gehri war von 1990 bis 1999 Professor für Holztechnologie in Zürich) an der Möglichkeit, BSH-Teile zu durchlöchern. „Durch eingeklebte Verstärkungen können wir Löcher halb so groß wie die Bauhöhe anfertigen, ohne dass eine Neubemessung nötig wäre“, erklärt Gehri. Wenn ein Architekt also nicht weiß, wie er die 40 cm starken Zuluftrohre unter den 80 cm hohen Leimbindern unterbringen soll, kann er nun in Lungern anrufen. Die Neue Holzbau klebt schon seit 15 Jahren Gewindestangen ins Holz und weiß genau, wie er damit die Schubkräfte rund ums Loch ausgleichen kann. Gehri ist seit Beginn der Entwicklung an involviert. Sein Ansprechpartner im Unternehmen ist Thomas Strahm, Leiter der Engineeringabteilung. „Wir müssen hier innovativ sein. Mit Standard-BSH aus Deutschland oder Österreich zu konkurrieren, ist unmöglich“, sagt der Eidgenosse.
Um zu beweisen, dass die ALP-GSA-Technologie praxisreif ist, spannte Gehri eine Reihe von Testblöcken auf die Biegeprüfmaschine. Die Testkörper waren auf einer Seite durchlöchert und am Rande der Ausnehmung mit GS-Ankern verstärkt. Die andere Seite beließen die Tüftler unverändert. Mehrere Hydraulikzylinder drückten nun so lange nach unten, bis die Teststücke brachen. „Das geschah ohne Ausnahme auf der Seite ohne Loch. Jedes Mal handelte es sich um einen Schubbruch“, berichtet Strahm. Die durchlöcherte Seite hielt stand. Das heißt im Umkehrschluss: Die Neue Holzbau kann Löcher in die BSH-Träger schneiden, ohne dass eine Querschnittsverminderung nötig wäre – lediglich ein paar eingeklebte Stahlstäbe müssen an die richtige Stelle.

Was bei Beton schon lange üblich ist …

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Durchlöcherte BSH-Träger im Labor: Die Neue Holzbau beweist im Prüfstand, dass ihre ALP-GSA-Technologie Binder mit bis zu 50?%-Löchern so verstärken kann, dass die ursprüngliche Dimension ausreicht © Johannes Plackner

Grundlage der Innovation ist die GSA-Technologie. Die mit Epoxidharz duktil ins Holz geklebten Stahlstäbe haben zwei große Vorteile: Erstens ist die Verbindung sehr einfach zu bemessen. Man braucht nur die Lasten durch die spezifische Festigkeit des Stahls zu dividieren und hat den erforderlichen Querschnitt der Gewindestangen, zweitens werden die Löcher, welche die GS-Anker aufnehmen, nur in Kraftrichtung gebohrt. Die Schwächung des Holzquerschnitts im Verbindungsbereich ist daher minimal. „Würde man einen Fichten-BSH-Träger in der Mitte ausei-nander schneiden und mit GSA-Verbindern wieder zusammenfügen, hätten wir einen Wirkungsgrad von 0,8“, erklärt Strahm. Das heißt, die Verbindung könnte 80 % der ursprünglichen Festigkeit aufnehmen. „Wenn wir den Anschluss in Esche ausführen, erreichen wir sogar 100 % der ursprünglichen Festigkeit.“

KMU mit Forschungsbudget

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Die rot markierten Fichtenlamellen sind besonders fest und ermöglichen einen GL?36-Träger © Johannes Plackner

Nur 45 Mitarbeiter hat die Neue Holzbau. Dennoch weist der Etat jedes Jahr ein eigenes Forschungsbugdet aus. Förderungen gibt es in der Schweiz dafür keine. Dafür kann rasch, unbürokratisch und ergebnisorientiert gearbeitet werden. Das Resultat wird gleich im Betrieb umgesetzt, etwa bei der Lamellensortierung. Der Lungerer BSH-Hersteller hat eigene Sortierklassen und kauft seine Rohware nur von ausgesuchten Sägewerken – vorzugsweise aus der Schweiz. „Unsere Tests zeigten, dass etwa die Höhenlage des Baumes großen Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften hat“, verrät Strahm. Jede Lamelle wird händisch auf Feuchte und Festigkeit überprüft. So lassen sich die hochfesten Bretter für die GL 36 Träger identifizieren. Die Qualitätssicherung geht dann bei der keilgezinkten Ware weiter. In einem Zugprüfgerät werden die Stöße analysiert. „Das ist deutlich zuverlässiger als die verbreiteten Biegeprüfgeräte“, sagt Strahm. Eine unvollkommene Verklebung auf der Druckseite könne nur mit der Zugmethode festgestellt werden, argumentiert der Leiter des Ingenieurbüros.

Kombiträger und Eschen-BSH bis GL 60

Die Brettschichtholz-Produktion der Neuen Holzbau ist bemerkenswert. Schon im Lamellenlager liegen Eschen- und Buchenbretter einmütig neben der Fichte. Die flexible SMB-Keilzinkenanlage ist darauf ausgelegt, unterschiedliche Holzarten bereits in der Keilzinke zu verbinden. Das machten sich die Schweizer bei der eigenen Halle zunutze. Beim Unterzug des Fachwerkbinders sind die am meisten belasteten Anschlüsse in Esche ausgeführt – aber nur am letzen halben Meter. Darunter wartet ein mannhoher Fachwerkträger auf seine Auslieferung. Dessen Besonderheit ist der erste Diagonalstab, der die größten Lasten aufnehmen muss und daher auch in Esche ausgeführt ist. Zudem stapeln sich Fichten-Hybridträger – also BSH, bei dem die Zug- und Druckbereiche aus besonders festen Lamellen bestehen.
In Fichte bietet die Neue Holzbau BSH bis zur Festigkeitsklasse GL 36. Buchen-Brettschichtholz gibt es bis GL 48. Das Königsprodukt ist aber verstärktes Eschen-BSH. Durch die Einleimung vorgespannter Stahllitzen erreicht die Neue Holzbau eine Festigkeitsklasse von GL 60.

Einsatz von Loch-BSH ist ab sofort möglich

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Simpel: Die einklebten GSA-Anschlüsse werden auf der Baustelle einfach verbolzt © Johannes Plackner

Zurück ins Labor: Dort steht der emeritierte Professor mit neugierigen Augen zwischen einem Stapel zerstörter BSH-Träger. Er versichert, dass die ALP-GSA-Technologie so weit ausgereift sei, dass die Neue Holzbau sofort mit deren Produktion beginnen könne – zumindest in Helvetia. Der Einsatz dieser innovativen Methode ist zumindest in Deutschland vorerst illusorisch. Die unflexible Anwendung der Holzbaunormen verhindere die rasche Umsetzung neuer Holzbauentwicklungen (was Gehri spürbar ärgert). Anders in der Schweiz. Hier findet sich in jedem Normenwerk der ungemein wichtige Absatz: „Abweichungen von der vorliegenden Norm sind zulässig, wenn sie durch Theorie oder Versuche ausreichend begründet werden oder neue Entwicklungen und Erkenntnisse das rechtfertigen.“
Alles, was also nötig ist, ist ein Ingenieur, der die Verantwortung dafür übernimmt und mit seiner Unterschrift garantiert, dass die Technologie ausgereift und sicher ist. Strahm kann das. Er hat über 15 Jahre lang Tausende Versuche begleitet. Er weiß, wie viel seine Produkte aushalten, bevor sie brechen. Er versteht die Versagensmechanismen und erkennt die enorme Bedeutung der Duktilität für sichere Holzbauverbindungen. Es ist dieses Wissen, welches es der Neuen Holzbau erlaubt, ein In‘genie‘urholzbau-Unternehmen zu sein. Wer neugierige Mitarbeiter, eine moderne Produktion und einen ETH-Professor in seinem Betrieb vereinigt, der kann wahrlich „schöpferisch“ arbeiten.

Erfolg durch Innovation

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Innovativ: Die Neue Holzbau experimentiert mit Buchen-Furnierschichtholz © Johannes Plackner

Lungern ist einer der idyllischsten Flecken im teuersten Staat Mitteleuropas. Jeder Betrieb, der hier wettbewerbsfähig sein will, muss auf Innovation setzen. Man darf also davon ausgehen, dass in Zukunft noch einige Impulse von der Neuen Holzbau ausgehen werden. So ist es kein Zufall, dass im Labor neben GSA-Ankern und Loch-BSH eine weitere viel beachtete Holzbauinnovation lag: das Buchen-Furnierschichtholz von Pollmeier. Eingeklebt waren vier GSA-Anker.