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Sägeblätter verraten mit ihrem Klang eine ganze Menge über ihren Zustand - das lässt sich jetzt messen © Johannes Plackner

Die Kunst des Zuhörens

Ein Artikel von Hannes Plackner | 12.08.2014 - 08:33
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Sägeblätter verraten mit ihrem Klang eine ganze Menge über ihren Zustand - das lässt sich jetzt messen © Johannes Plackner

Eine echte Innovation bahnt sich ihren Weg ins Sägewerk. Das Wiener Ingenieurbüro Fellner Engineering hat ein System entwickelt, welches den Zustand von Kreissägeblättern „hören“ kann. Sein Name CSM-ST steht für „Circular Saw Monitoring – Sound Triggered“, also: geräuschaktivierte Kreissägenüberwachung. Es besteht bloß aus einem trichterförmigen Mikrofon und einem Steuergerät in der Größe eines Schutzhelms. Trotz dieser Unscheinbarkeit verbirgt sich dahinter eine der größten Innovationen der Einschnitttechnik seit Einführung moderner Scansysteme.

Stoppen statt bersten

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Sobald ein Schwellenwert überschritten wird, wird der Vorschub für rund eine Sekunde unterbrochen © Johannes Plackner

Die Vorschübe moderner Sägelinien bringen die Werkzeuge immer wieder zum Bersten. Bei Druckholz, ungünstiger Astverteilung oder gefrorenen Blochen schwingen die Blätter mitunter weit aus der Drehebene. Beim folgenden Bloch beginnt der Schnitt versetzt, was in Sekundenbruchteilen zum Bersten führen kann. Dieses Phänomen gehört nun der Vergangenheit an, wenn es nach Wolfgang Fellner geht. Sein Betrieb hat in Zusammenarbeit mit Stora Enso eine Schall-Monitoring-Lösung entwickelt. Diese hört, wenn die Sägeblätter gefährlich zu schwingen beginnen.
Ein trichterförmiges Industriemikrofon misst den Lärm direkt bei den Sägemaschinen. Darauf basierend bestimmt die Software in Echtzeit und mit hoher Zuverlässigkeit den Zustand des Sägeblatts. Kurz gesagt: Wird das Blatt zu laut, stoppt das System CSM-ST den Vorschub.
Fellner verspricht mit dieser Methode massive Einsparungen. Der Verbrauch an Sägeblättern soll um bis zu 80 % sinken. Die Maschinenverfügbarkeit steigt. In einem zweiten Schritt können sogar schwächere Sägeblattkörper bei höherem Vorschub verwendet werden. Klingt nach Marketingversprechen. Doch bei Stora Enso in Ybbs ist das System seit Monaten im Einsatz. Und zwar so erfolgreich, dass es der Konzern nun bei allen zentraleuropäischen Sägelinien nachrüstet.

Das Geld liegt in der Luft

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Das Rechengerät der CSM-ST wandelt die Messwerte in Signale für die Sägeliniensteuerung um © Fellner Engineering

Bislang hat sich die Überwachung bei Nachschnittkreissägen bewährt. Diese arbeiten in der Regel mit 2000 bis 3000 U/min. Bei Vorschüben bis zu 150 m/min werden die Model in Hauptwarenbretter aufgetrennt. Es ist der eigentliche Kernprozess im Sägewerk. Gleichzeitig ist er schwer zu steuern. Denn über den Zustand des Sägeblattes im Einsatz war bislang kaum etwas bekannt. Eine optische Überwachung ist nicht möglich. Die Leistungsabnahme verrät außer der Sägezahnschärfe wenig – und selbst die ist zu träge für eine Echtzeitsteuerung. Bleibt das Sägegeräusch. Denn was gemeinhin als unangenehmer Lärm wahrgenommen wird, ist nichts anderes als ein steter akustischer Zustandsbericht.
Ein Hauptinstrument im kakophonen Orchester ist der Sägeblatt-Grundkörper. Wenn dieser durch Buchs oder Drehwuchs aus seiner Drehebene gebracht wird, schwingt er anders. Dieses „Singen“, das zum Einklemmen führen kann, hören gute Anlagenführer. „Und was man hören kann, können wir auch messen“, sagt Fellner.
Wie funktioniert das nun konkret? Details über das zum Patent angemeldete System gibt der Wiener nicht preis. Nur so viel: Über das Kegelmikrofon wird ein bestimmtes Frequenzband herausgefiltert. Dessen Amplitude wird 40 Mal pro Sekunde bestimmt. Sobald dieser Schallmesswert über einen zuvor bestimmten Schwellenwert steigt, wird der Vorschub zur Kreissäge hin gestoppt (s. Symbolbild unten). Der Förderer auf der Auslaufseite entfernt das Holz aus der Maschine. Das Sägeblatt beruhigt sich binnen Sekundenbruchteilen. Dann sägt die Linie weiter. Ein Schaden wird abgewendet – und zwar nicht nur am Sägeblatt selbst. Wäre das Werkzeug zerborsten, hätte die komplette Linie gestoppt werden müssen. Alle (teuren) Bloche auf der Linie wären dann ein Fall für den Hacker gewesen. Der Notstopp vor dem Zwicken ist aber nur die Basisfunktionalität. Wer will, kann über einen Datenlogger eine Schallmesskurve über einen ganzen Tag zeichnen. Dabei wird eine zweite Optimierung möglich: Je stumpfer die Blätter sind, umso lauter werden sie. Das geschieht aber nicht linear, sondern in Stufen, zeigen die Praxiserfahrungen. Das System CSM–ST erkennt den Sägeblattzustand mit beeindruckender Zuverlässigkeit. Der Maschinenführer bekommt einen Verschleißwert in Prozent angezeigt. Auf Basis dessen kann er entscheiden: Muss gewechselt werden, oder kann ich eine Charge noch fertig schneiden.

Zwei Phasen zur Optimierung

Wer ähnlich viele Sägewerke besucht, wie ein Holzkurier-Redakteur, weiß: Jedes klingt anders. Daher ist bei der Installation des CSM-ST eine Kalibrierphase nötig. Dabei werden zwei Wochen lang das Grundgeräusch und die Schallkulisse unmittelbar vor einem Zwicker gemessen. Ebenfalls angepasst werden muss die Position des Mikrofons. Nach der Kalibrierungsphase kann das System sofort eingesetzt werden.
Zur Praxisreife entwickelt wurde die Innovation beim Stora Enso-Sägewerk Ybbs. Der Holzkurier erhielt seltenen Einblick in diesen Prozess. Wie das im lauten Alltag ablief, zeigt ein Bericht in der Ausgabe 36.